Heimkehr

Heimkehr - ©Sabine Gabriel

Als sie mir sagten, dass wie schlecht es ihm gehen und er nicht mehr lange leben würde, machte ich mich sofort auf den Weg, um bei ihm zu sein und seine Hand zu halten. Ich hatte noch eine weite Reise vor mir, packte das Notwendigste und war schon unterwegs.

Als ich im Zug saß mit meinem Kaffee und zur Ruhe gekommen war, da fiel mir auf, dass ich gar nichts Schwarzes eingepackt hatte – nicht dass ich zu meinem Besuch bei ihm etwas Schwarzes hätte anziehen wollen – nein, das auf keinen Fall! Aber irgendwann würde ja auch die Beerdigung sein, und ich hatte nur meine beiden wärmsten Pullover mitgenommen – und die waren weiß, so als ob ich zu meiner Hochzeit fahren würde ...

Irgendwie hat das gleichmäßige Rattern des Zuges für mich immer wieder etwas Meditatives. Und so „wußte“ ich auch ziemlich bald, dass ich mir keinen Streß mehr machen mußte, dass ich ihn nicht mehr lebend antreffen würde. Mir schwante auch, dass er noch nicht einmal mehr im Krankenhaus sein würde, wenn ich dort ankäme. Also wartete ich auf ihn – worauf? Ja, dass er zu mir kommt und sich zu mir setzen würde.

Und wie kam ich auf diese abstruse Idee? Einem Freund von mir starb sein Sohn. Als er noch nichts davon wußte, hörte er ein Geräusch in der Küche und stand auf um nachzusehen, weil er meinte, eins von den Kindern wäre dagewesen. Er sah aber niemanden in der Küche und ging wieder schlafen. Am nächsten Tag erfuhr er, dass der junge Mann, sein Sohn, vier Stunden vorher gestorben war. Als er mir das erzählte, sagte ich zu ihm: es war eins deiner Kinder in der Küche. Dein Sohn war dort, um sich von dir zu verabschieden.

Jahre später gab es den tragischen Unfall von Prinzessin Diana und Dodi. Dodi starb noch um Mitternacht an der Unfallstelle. Und von Diana sagte ein Reporter im Fernsehen, dass die Ärzte um ihr Leben gekämpft haben, aber so gegen vier Uhr morgens „ihr Herz nicht mehr schlagen wollte“. Diese Formulierung habe ich nie vergessen! Es waren auch wieder genau die vier Stunden nach seinem Tod, als Diana gestorben ist. War Dodi bei ihr gewesen?

Also wartete ich auf ihn – und er kam. Zwischen Frankfurt und Aschaffenburg saß er auf einmal mir gegenüber auf dem Platz, auf dem ich vorher gesessen hatte. Frankfurt ist ein Sackbahnhof, und die Züge fahren dort rückwärts wieder heraus, so dass ich den Platz auf die andere Seite wechselte, um wieder vorwärts fahren zu können. Der Zug war in Frankfurt pünktlich gegen 16.16 Uhr abgefahren.

Wie geplant bin ich gegen 19.00 Uhr im Krankenhaus angekommen. Nach endlosem Warten sagte man mir, dass er zwischen 12 und 13 Uhr gestorben sei und fragte, ob ich ihn nochmal sehen wollte. Ich wunderte mich schon, dass er noch im Krankenhaus war. Da ich mich gerne von ihm verabschieden wollte, sagte ich ja. Wenig später kam der Arzt zurück, um mir zu eröffnen, dass er nicht mehr im Krankenhaus sei.

Man gab mir noch einmal die Liste der Fremdenzimmer, die ich schonmal bekommen hatte, als ich meinen Schatzi besucht hatte. Die alte Frau, bei der ich das letzte Mal schon übernachtet hatte, und die ich so sehr mochte, hatte „mein“ Bett noch frei und freute sich auf mein Kommen.

Auf dem Weg zu ihr rief ich noch seine Mutter an, um ihr mein Beileid auszudrücken und sie nach der Beerdigung zu fragen. Sie nannte mir den Termin für übermorgen und für den nächsten Tag noch einen Termin zur Einsegnung, wo man sich noch von ihm verabschieden konnte. Ich spürte schon, dass sie mich nicht da haben wollte, und auf einmal fing zu an zu fragen, was wir denn überhaupt für eine Beziehung gehabt hätten und dass das ja alles nichts Richtiges gewesen sein konnte, weil wir ja nicht verheiratet waren und uns wegen der großen Entfernung nur so selten gesehen hatten usw. Ich war sowas von verdattert, ich wußte überhaupt nicht mehr, was ich dazu sagen sollte.

Die alte Frau tröstete mich, so gut sie konnte. Ich ging dann früh schlafen, frühstückte den nächsten Morgen in Ruhe und glaubte, ich wäre in drei Stunden am Ziel. Am Bahnhof erfuhr ich dann, dass ich mich geirrt hatte, dass ich x-mal umsteigen mußte und fünf Stunden brauchen würde.

Es war eiskalt, und ich war überhaupt nicht darauf eingerichtet. Es war wieder mild geworden, als ich das Haus verlassen hatte, und ich war auf Krankenhaus eingerichtet, nicht auf diese Eiseskälte da draußen. Ich weinte und hatte das Gefühl, meine Tränen würden zu Eis.

Die ganze endlose lange Fahrt über weinte ich und träumte ich vor mich hin. Ich dachte an all die schönen Zeiten, die wir zusammen verbracht hatten, an all das, was wir noch gemeinsam tun wollten, an meine Besuche im Krankenhaus und die Wochen vorher, in denen er so gelitten hatte. Ich dachte an all den Spaß, den wir zusammen hatten und wie sehr ich ihn vermissen würde.

Die Landschaft zog an mir vorbei – es war kalt – und die Fensterscheiben beschlugen. Ab und an mußte ich in einem kahlen Bahnhof auf den Anschlußzug warten. Es war kalt, und langsam fing es an zu schneien.

Gegen Mittag war der Zug rappelvoll mit Schulkindern – es war ja der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien. Auf den Bahnsteigen lag der Schnee bald knietief, und die Kids hatten ihren Spaß an Schneeballschlachten auf dem Bahnhof.

Es schneite und schneite. Es wurde einsamer und einsamer. Die Strecke verlief nun noch eingleisig durch den Wald. Kein Haus, keine Straße weit und breit, nur Wald und Schnee, Schnee, Schnee ... Langsam bekam ich Angst. Was wäre, wenn wir hier mitten im Wald in der Einsamkeit in einer Schneewehe stecken bleiben würden?

Aber – wie durch ein Wunder – erreichten wir den nächsten Bahnhof rechtzeitig, bevor mein letzter Zug, den ich nehmen mußte, losfuhr. Losfuhr? Losfahren sollte! Denn dieser Zug war in einer Schneewehe stecken geblieben, und auf dem Bahnhof wartete man auf seine Ankunft. Er kam nicht.

Ich fragte den Stationsvorsteher, was ich denn nun tun könnte, um rechtzeitig am Friedhof zu sein, wie schnell ich denn mit einem Taxi da wäre. Auf die letzte Frage meinte er nur ganz lakonisch, das käme ganz darauf an, ob wir in einer Schneewehe stecken bleiben würden oder nicht. Aber trotz allem bat er mich in sein Büro – dass ich erstmal im Warmen wäre – und telefonierte hinter dem Verbleib des vermißten Zuges hinterher. Vergeblich.

Also wurde ich wieder hinaus komplimentiert und wartete darauf, dass der Zug doch noch käme. Zu spät konnte er ja ruhig sein – dann hätte ich immer noch reichlich Zeit, um zum Friedhof zu laufen. Aber ausfallen durfte er halt nicht, eine Stunde später wäre es zu spät, und ich würde meinen Schatzi nie wieder sehen können. Wenigstens einmal noch wollte ich ihn sehen und Abschied von ihm nehmen – egal, ob seine Mutter dagegen war oder nicht. Ich wollte ihn nochmal sehen.

Fünf Minuten vor der planmäßigen Abfahrt des Zuges hörte ich eine Durchsage, daß ein Zug zu meinem Bestimmungsort eingesetzt würde und er planmäßig abfahren sollte. Wie freute ich mich! Doch nicht allzu lange! Aber zunächst einmal saß ich im Zug, im Warmen, fand in meinem Rucksack noch ein zweites Paar Strümpfe, das ich mir über die ersten noch anzog, und glaubte, es geschafft zu haben. Weit gefehlt! Der Zug fuhr nicht. Er war schon fünf Minuten über die zeit, zehn Minuten, zwanzig Minuten ... und dann kam noch eine Durchsage: wegen einer Weichenstörung unbekannte Verspätung .... Ich war ja so verzweifelt! Und so wütend! Sie hatte es also wirklich geschafft, dass ich ihn nicht mehr sehen würde – nie wieder! Noch nicht mal mehr Abschied nehmen konnte ich von ihm!

Während ich noch so vor mich hin kochte, setzte der Zug sich langsam in Bewegung. Es hatte nur noch weitere fünf Minuten gedauert ....

Eine halbe Stunde vor dem Termin der Einsegnung kam ich endlich an. Zum Friedhof war es ja nicht weit. Ich stapfte durch den hohen Schnee und kam kaum vorwärts. Bis zu den Knien sank ich immer wieder ein. Es schneite und schneite .... Als ich endlich am Friedhof ankam, war ich voller Schnee, hatte Eis in meinen Haaren.

Trotz allem war ich die erste. Seine Eltern erkannte ich sofort, obwohl ich sie nie vorher gesehen hatte. Ich wußte gar nicht, wie ich mich verhalten sollte – Beileid wünschen war klar – aber sonst? Wir kannten uns ja gar nicht. Wollten sie lieber ohne mich sein? Oder gehörte ich dazu? Außer den Eltern waren noch andere Verwandte da, sein Lieblingsneffe und ein älteres Ehepaar – Onkel und Tante vielleicht?

Ich wartete erst einen Augenblick alleine, dann ging ich zu ihnen und erfuhr dort, dass mein Schatzi noch im Stau steckte. Eine Schneewehe versperrte die Autobahn. Der Pastor kam auch extra etwas später, weil er schon darüber informiert worden war.

Endlich kamen sie und brachten den Sarg in einen kleinen Raum neben der eigentlichen Kapelle. Dort sollte die Einsegnung sein und am nächsten Tag die Beerdigung. Der Mensch vom Beerdigungsinstitut vergewisserte sich nochmal, daß der Sarg zu bleiben sollte. Ganz entgeistert blickte ich ihn an und sagte fassungslos und ganz entgeistert, dass ich ihn nochmal sehen wollte. Und bevor noch seine Mutter etwas sagen konnte, waren die Herren in dem Raum verschwunden.

Nach einer kleinen Weile wurden wir dann herein gebeten. Seine Mutter stürzte sich gleich weinend auf ihren Sohn. Ich sah ihn nur an. Ein unglaublicher Friede ging von ihm aus, der mich bis mitten ins Herz berührte. Er sah kein bißchen mehr krank aus, sein Gesicht war wieder viel voller als zwei Tage vorher, als ich ihn das letzte Mal besucht hatte, es war, als wenn alles, was ihm das Leben schwer gemacht hatte, von ihm abgefallen war. Er war vollkommen verwandelt, auch nicht so, wie vor seiner Krankheit. Und ich wußte auf einmal, daß das Leben mit dem Tod nicht zuende ist. Ich spürte, dass er da war, wenn auch nicht mehr in seinem Körper.

Ich hatte noch nie vorher einen Toten gesehen. Auf Zeichnungen von Toten waren mir immer die merkwürdigen Hände aufgefallen, und auch seine Hände sahen jetzt so aus, es waren nicht mehr die Hände, die ich kannte. Aber sie waren auch nicht so kalt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich gab ihm noch einen Abschiedskuß auf die Wange.

Was der Pastor sagte, habe ich nicht richtig gehört. Ich sah ihn nur an, meinen Schatzi. Nach allem, was der Arzt mir gesagt hatte, dass ich ihn nicht mehr ansehen sollte, müssen es wahre Künstler gewesen sein, die ihn so in den Sarg gelegt hatten. Ich bedauerte, dass ich nicht malen konnte, ich hätte das Bild so gerne festgehalten: es war einfach wunderschön, dieses Bild des Friedens und die roten Rosen, die sie ihm mitgegeben hatten. Nichts anderes hätte ich ihm mitgeben wollen.

Als die kleine Feier zuende war, sagte seine Mutter zu mir, sie würde jetzt mit mir zu einer Bekannten von ihr fahren, wo ich ein Zimmer bekommen würde, und dann würde sie mit mir in die Wohnung fahren, dass ich meine Sachen holen könnte, die von mir noch da waren. Ich war platt! Damit hätte ich nie gerechnet.

In der kleinen Pension erhielt ich ein schönes Doppelzimmer für mich alleine. Außer mir waren keine anderen Gäste da. Die Frau nannte mir den Preis für die Übernachtung, und ich nickte, der Preis war in Ordnung. Zu meinem riesengroßen Erstaunen hörte ich auf einmal seine Mutter sagen, sie würde das Zimmer bezahlen. Damit hätte ich ja nie gerechnet!

Seine Wohnung war schon gar nicht mehr seine Wohnung. Seine Mutter hatte schon ordentlich aufgeräumt, es roch noch nicht mal mehr nach ihm dort.

Der Neffe fand das Bild, dass ich mal gemalt hatte. Es gefiel meinem Schatzi so gut, dass ich es ihm geschenkt hatte, aber das habe ich dann doch wieder mitgenommen. Außerdem habe ich noch meine ganzen Briefe und Postkarten gefunden, die ich ihm geschrieben hatte, noch ein paar Fotos von uns beiden – und mehr war ja nicht da. Zu guter Letzt gab seine Mutter mir für die Beerdigung am nächsten Tag noch eine schwarze Jacke von ihm, da ich ja gar nichts Schwarzes eingepackt hatte.

Wieder in meinem Zimmer in der Pension drehte ich erstmal alle Heizungen auf. Es war eiskalt, und ich bibberte. Ich setzte mich neben die Heizung und las meine ganzen Briefe. Wie oft hatte ich ihm geschrieben ich vermisse dich, ich freue mich, dich bald zu sehen, ich vermisse dich .... Und wie sehr würde ich ihn jetzt und in alle Ewigkeit vermissen. Ich wußte gar nicht mehr, wie oft ich ihm mal einfach so eine Karte geschrieben hatte – einfach so, nur um ihm zu sagen, wie gern ich ihn habe und wie sehr ich ihn vermisse. Es war so schrecklich, das jetzt alles zu lesen!

Ich bin dann ziemlich früh ins Bett gegangen. Auf meinem Kissen lag ein Bonbon, und auf dem Nachttisch neben jedem Bett lag passend zu Weihnachten ein kleiner Stern mit einem Bibelspruch der Weihnachtszeit. Auf meinem Stern stand: siehe, dein König kommt zu dir. Und genau das war es! Die Verwandlung, die statt gefunden hatte. Er hatte etwas Königliches an sich in seinem Frieden, in dem er da lag mit den roten Rosen auf der weißen Decke.

Und da fiel mir auch wieder ein, wie er mal auf mich geschimpft hatte, ich wäre ja so hochnäsig und eingebildet, ich würde mich aufführen, wie eine Königin, und er wäre nicht mein Diener. Ich hatte aber ja gar nichts gemacht und auch gar nichts verlangt von ihm. Und so antwortete ich ihm damals ganz ruhig und cool: der adäquate Partner für eine Königin wäre ja auch kein Diener sondern ein König.

Und damit war damals die Sache für mich erstmal erledigt. Für ihn damals aber nicht. Für ihn gab es nur herrschen oder beherrscht werden – und beides gefiel ihm nicht – zu Recht, wie ich finde. Meine Ansicht damals war, dass die Partner sich auf derselben Ebene begegnen sollten, am besten jeder dem anderen als König in seinem eigenen Reich – bildlich ausgedrückt.

Und jetzt war er also ein König geworden – mein König? Und nun ging es mir nicht mehr aus dem Kopf: Tochteher Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem, siehe, dein König, kommt zu dir.

Wie verabredet weckte die gute Frau mich am nächsten Morgen, machte mir Frühstück, gab mir Proviant mit für die Reise, ließ mich mit der Bahn telefonieren, damit ich auch heil wieder nach Hause käme. Da ich ja nun noch Geld übrig hatte, das ich für die Zimmer nicht gebraucht hatte, mußte ich auch nicht mit leeren Händen am Grab stehen, sondern konnte noch ein paar Blumen im Blumenladen nebenan bestellen. Die Schleife mußte ich wohl mit der Hand beschriften, weil es schon viel zu spät war – aber das war mir auch lieber so.

Als ich alles erledigt hatte, habe ich noch eine runde durch den kleinen Ort gedreht, war an all den Orten, wo wir gemeinsam gewesen waren, bin all die Wege gegangen, die wir gemeinsam gegangen waren. Die Sonne schien, es war ein wunderbarer Tag, die Luft so klar und alles voller Schnee – einfach wunderschön.

Dann entdeckte ich, dass die Türe der Kapelle zu dem kleinen Raum offenstand. Außer meinem Schatzi war niemand da. Ich ging zu ihm hin und genoß es, ein letztes Mal noch bei ihm zu sein. Ich war so traurig und fühlte mich so alleine, weil ich außer ihm ja niemanden hier kannte. Ich hatte das Gefühl, daß er da war und mich in dem Arm nahm und tröstete.

Schon auf der Zugfahrt hatte ich Angst davor, dass ich auf der Beerdigung lachen müßte. Es kam die Zeit, da sie ihn abholten und in die Kapelle brachten, wo es eisig kalt war. Ich ging hinter ihm her und setzte mich ziemlich weit nach hinten. Die Beerdigung selbst war total daneben. Der Pastor wußte nichts von ihm – seine Mutter wollte ja wohl auch nicht, dass man über ihn redete – aber die Predigt war einfach unmöglich, Fazit: mein Schatzi war ein Versager, mit schönen Worten ausgedrückt. Und singen konnte der Pastor auch nicht! Die schönen Lieder, die seine Eltern ausgesucht hatten, hat er alle verhunzt. Es war einfach schrecklich, wenn nicht, ja, wenn nicht ....

Irgendwie hatte ich das Gefühl, mein Schatzi würde lauter Blödsinn machen und mich ständig zum Lachen bringen. Er kam immer wieder zu mir, setzte sich neben mich, ging wieder zu jemand anderem und kam zurück. Es war so grauenhaft, weil ich so lachen mußte und ja nun alles machen konnte, nur eins nicht: laut losprusten. Zum Glück war es so saukalt, dass ich mich in „meiner“ viel zu großen Jacke verstecken und vor Kälte zittern konnte. Ich dachte nur: was anderes als Blödsinn könnte man ja nun wirklich nicht machen bei dieser fürchterlichen Predigt von der Bekehrung des Saulus zum Paulus – was das mit meinem Schatzi zu tun haben sollte?! – Es war wirklich total daneben! Also was anderes wäre mir an seiner Stelle wohl auch nicht eingefallen! Und der Pastor redete und redete und redete ....

Aber irgendwann ist halt auch die längste und langweiligste Predigt zuende. Fortsetzung folgte am Grab? Ich hörte schon nicht mehr zu, hielt mich ein wenig im Hintergrund, war ja die Fremde da. Und dann war ich an der Reihe. Zu meinem großen Erstaunen gab es keine kleinen Blumensträußchen dort wie bei uns. Die Blumen, die wir ins Grab geworfen haben, waren keine Beerdigungsblumen – es waren Blumen, wie Blumenkinder sie bei Hochzeiten streuen.

Der Familie, die jetzt vollständig da war, drückte ich nochmal wortlos die Hand. Ich wußte nicht mehr, was ich noch sagen sollte. Vor der Kapelle gab ich ihnen die Jacke zurück, bedankte mich nochmal und lief dann zum Grab zurück. Ich wollte noch ein Foto machen, bevor sie das Grab zumachen würden. Irgendwie fühlte ich mich, als wenn ich zu einem Rendez-vous gehen würde, das letzte, was ich mit ihm noch hatte ...

Als ich ihn am Tag vorher nochmal gesehen hatte, da hatte ich das Gefühl, es war richtig so, wie es war. Und jetzt sah ich ihn vor mir, wie er da lag und empfand bei dem Gedanken, dass er von nun an in der Erde liegen würde eher ein Gefühl von Geborgenheit als alles andere. Mutter Erde nahm in wieder in sich auf. Von Erde bist du genommen, und zu Erde sollst du wieder werden.

Bald kamen auch die Totengräber, und gemeinsam schaufelten wir das Grab zu. Es war das letzte, was ich für ihn noch tun konnte – und für mich in dem Falle auch. Die Sonne schien, und es war eisig kalt. Durch das Schaufeln wurde mir wenigstens wieder etwas wärmer. Die Erde war feucht gewesen und zum Teil schon wieder gefroren, so dass sie erstmal los gehackt werden mußte.

Als das Grab fertig war, holte ich meine Blumen und legte sie selber auf das Grab. Die Zeit reichte noch für ein letztes Foto, und dann mußte ich auch schon wieder zum Bahnhof. So langsam fing es wieder an zu schneien. Die Flocken tanzten, während ich den Friedhof verließ und den alten vertrauten Weg ein letztes Mal zum Bahnhof ging.

Mein Schatzi liebte Filme so sehr, und die Kinder, denen ich die ganze Geschichte erzählt habe, meinten, das Ganze sei filmreif gewesen, man solle doch einen Film daraus machen. Und so verneige ich mich vor dir, mein Schatzi, es war ein Abgang von der Bühne des Lebens, der Deiner würdig gewesen ist. Alles Liebe von Sabine

Vertreibung

Ich war gesandt, den Menschen das Licht und die Liebe zu bringen – aber sie blieben lieber im Dunkeln und wollten mich davon überzeugen, dass Liebe keine Realität ist.

Ich war gesandt, den Menschen die Freude und das Lachen zu bringen – aber ich war ihnen zu laut, und sie muffelten lieber.

Ich war gesandt, den Menschen Wege aus ihren Krankheiten zu zeigen – aber sie wollten krank bleiben und jammerten lieber.

Ich war gesandt, den Menschen aus einer anderen Welt zu erzählen, der Welt des Lichts und der Liebe – aber sie wollten mich davon überzeugen, dass es diese Welt nicht gebe und dass ich ein unrealistischer Phantast sei.

Ich war Hagazussa, die Hexe, die Zaunreiterin, die, die auf der Grenze lebt, die, die in zwei Welten lebt, der sichtbaren und der unsichtbaren. Ich war Hagazussa, die mit einem Bein in dieser und mit dem anderen in der jenseitigen Realität lebt.

Und dann kamst Du, mein Schatz, der Hexer, der auf der Grenze lebte mit einem Bein in dieser und mit dem anderen in der jenseitigen Realität. Du warfst mir vor, ich sei eine Königin und du wärst nicht mein Diener. Genau das hatte ich aber auch nie verlangt von Dir.

Nun bist Du tot und mit beiden Beinen in der anderen Realität. Du gehst einen Schritt vor. Du bist ein König und stehst nun neben mir, neben Deiner Königin. Und ich? Ich gehe auf Seite. Ich freue mich, dass Du an meiner Seite bist und stehe nun mit beiden Beinen draußen – hier – hier in dieser Wirklichkeit.

Du nimmst meine Hand. Du stehst jenseits der Grenze, und ich stehe diesseits der Grenze. Und so gehen wir Hand in Hand, und Du bist nun meine einzige Verbindung in die jenseitige Welt des Lichts und der Liebe.

Aber so kann ich nicht handeln. Ich weiß, dass ich Deine Hand loslassen muß, daß ich auf eigenen Füßen stehen muß. Ängstlich lasse ich los, nicht wissend, was nun auf mich zu kommt in dieser kalten und mir so fremden Welt. Ich wende mich dir zu. Du wendest Dich mir zu. Ich verbeuge mich vor dir und danke Dir für diesen Tanz. Du verbeugst Dich vor mir und dankst mir für diesen Tanz. Liebevoll verabschieden wir uns voneinander.

Schweren Herzens wende ich mich ab von Dir und wende mich dieser Welt hier zu. Ich gehe einen Schritt weg von Dir und von allem. Nie im Leben habe ich mich verlassener gefühlt als in diesem Augenblick, in dem ich mutterseelenallein in dieser Welt hier stand und keine Verbindung mehr zur jenseitigen, zu meiner Heimat, meinem Zuhause, hatte. Habe ich das jetzt gebraucht, um mich einmal so zu fühlen wie all diese Menschen, die nichts von mir wissen wollten? Wie all diese Menschen, die den Kontakt zu dieser anderen Welt, zu ihrer, zu unser aller Heimat, verloren haben?

Aber was geschieht nun? Ich fühle, dass ich Dich und meine Heimat in meinem Rücken habe, dass Ihr hinter mir steht und mich wärmt. Ich weiß auf einmal, daß ich jederzeit zu euch kommen kann, so wie es geschrieben stand: Begegnung findet an der Grenze statt. Ich weiß, dass Ihr mich nie verlaßt und mich immer begleitet. Ich bin nicht allein. Du bist da – und all die anderen auch. Ich fühle Eure Nähe und Wärme, ich fühle mich geborgen in Eurem Licht und Eurer Liebe - und gehe los.

Abschied

Während ich so vor mich hin ging in dieser Welt der Kälte und der rationalen Lieblosigkeit, zu der ich nun voll und ganz gehören sollte, fielen mir auch wieder die Worte des Pfarrers ein, die er bei der Verabschiedung am offenen Sarg gesprochen hatte, die Worte von Verzeihen, die so endgültig klangen. Er meinte, es wäre jetzt die Zeit, dem Toten noch einmal zu sagen, was man auf dem Herzen hätte. Ich dachte so bei mir, dass ich hoffentlich alles wieder gut gemacht hätte, was ich ihm angetan hatte aus Unwissenheit, aus Unachtsamkeit oder welchen Gründen auch immer. Ich dachte aber auch, dass er ja noch da ist und ich ihm jederzeit mitteilen könnte, was mir noch einfällt, ihn jederzeit noch um Verzeihung bitten könnte, wenn mir etwas klar wird, was mir jetzt noch nicht klar war, und ich wußte, er würde mich hören. Ich wußte, es wäre nie zu spät, weil er niemals aufhören würde zu existieren und ich ihn immer und immer erreichen könnte.

Aber was dann geschah, damit hatte ich im Träume nicht gerechnet! Nachdem ich nun so eine Weile gegangen war, stand er auf einmal wieder vor mir – unsichtbar, aber ich wußte, er war da. Und er sprach zu mir – unhörbar – aber ich konnte es verstehen. Er war es, der vor mir stand und mich um Verzeihung bat für das, womit er mich verletzt hatte und was ihm zu Lebzeiten nicht klar war, dass es mich verletzen würde. Ich hatte ihm aber längst verziehen, es war alles nicht mehr wichtig gewesen.

Und so lebte ich in Frieden mit ihm, mit mir, mit der Welt. Es war alles in Ordnung, bis er eines Tages wieder vor mir stand. Er bat mich, mit seiner Mutter zu sprechen. ich sollte ihr sagen, sie möchte ihn doch bitte endlich gehen lassen.

Ich überlegte, was ich ihr sagen sollte, überlegte hin und her und kam zu dem Schluß, dass es nicht ging, dass es unmöglich war, mit ihr zu sprechen. Einerseits fand ich es als anmaßend, ihr etwas von ihrem Sohn zu sagen. Ich vermutete, dass sie sich von mir verhöhnt fühlte, wenn ich sagte, ich hätte mit ihrem Sohn gesprochen, dass sie mich für verrückt erklären würde und ich ihr im Endeffekt nur noch weiteren unnötigen Schmerz zufügen würde. Ihr Sohn war tot, und so war es unmöglich, dass noch irgend jemand mit ihm sprechen könnte. Aber ich hatte mit ihm gesprochen, hatte die ganze Zeit über den Kontakt zu ihm nie verloren. Aber wer würde mir glauben? Nein, es war unmöglich, mit einer Bitte meines Schatzis zu seiner Mutter zu gehen. Nachdem mir dies vollkommen klar war, wandte ich mich an ihn, um es ihm mitzuteilen. Wortlos, aber es kam wohl an.

Wenige Tage später fiel mit ein Buch in die Hände mit dem Titel: Die Seele ins Licht geleiten. Ich wußte bereits, dass man die Seele der Toten gehen lassen muß. Da ich ja die ganze Zeit über Kontakt zu ihm hatte, fürchtete ich schon, daß auch ich damit gemeint war und auch diejenige war, die ihn nicht gehen ließ.

Das Buch bestätigte mir vieles, was ich schon wußte, enthielt auch viel Hilfreiches und am Ende einige Meditationen der Liebe, u.a. um den anderen gehen lassen zu können. Schon während ich dies las, saß auf einmal meine geliebte Oma vor mir. Sie war wesentlich sichtbarer als mein Freund, trug ein rot geblümtes weißes Kleid und war eine junge Frau. Sie ähnelte den uralten vergilbten Fotos von ihr, auf denen sie als junge Frau abgebildet war, aber jetzt saß sie in Farbe vor mir, ein wenig durchsichtig auch sie, aber ganz real und kein wenig alt und vergilbt. Beim Lesen entschied ich mich, diese Meditation in einer ruhigen Stunde durchzuführen, und meine Oma verschwand auch wieder.

An einem schönen sonnigen Morgen, es war Fronleichnam, empfand ich es als richtigen Augenblick, diese Meditation durchzuführen und tat es auch. Meine Oma war da und saß mir gegenüber. Sie tat nichts, sie war einfach da. Und mein Freund war sofort weg, so als wenn er schon lange darauf gewartet hätte, endlich gehen zu können. Es war alles sehr friedlich und erfüllt von einer unglaublichen Richtigkeit, durch die auch ich selber mich befreit gefühlt hatte. Obwohl ich ihn vermißte, ging es mir gut, weil es sich alles so richtig und in der Ordnung anfühlte. Noch tagelang kam meine Oma vorbei, so, als wenn sie nach dem Rechten sehen wollte, als wenn sie sich vergewissern wollte, daß alles okay ist mit mir. Sie sagte nie ein Wort, sie war immer nur einfach da und war dann gleich wieder weg. Ich fühlte mich durch das alles sehr getröstet und aufgehoben. Ich sah, dass es gut war.

Fazit

Nie vorher in meinem Leben ist es mir so bewußt gewesen, dass es absolut keine Möglichkeit gibt, vor sich selbst und seinen Problemen zu fliehen – ja, selbst der Tod ist keine „Rettung“ davor! Nie vorher in meinem Leben war es mir so klar, dass wir uns selbst und unsere Probleme selbst mit ins Grab nehmen! Wohl dem, der es noch im Leben geschafft hat, so viel wie möglich in Ordnung zu bringen oder wenigstens jemanden zu finden, der ihn noch nach dem Tode wahrnimmt und helfen kann, die ungelösten Dinge in Ordnung zu bringen. Wohl dem, der weiß, dass der Tod nicht das Ende ist sondern „nur“ ein Übergang in eine andere Daseinsform, einer Daseinsform, die uns zwar mehr Bewußtheit oder Bewußtsein bringt aber uns jeglicher Handlungsmöglichkeiten beraubt. Wohl dem, der auch nach seinem Tode noch die Chance hat, um Verzeihung zu bitten und gehört zu werden!

Es gibt nur eine Botschaft aus dem Jenseits, aus der „anderen“ Welt, aus der Welt, die unser aller Heimat ist, von der wir alle kommen, und zu der wir alle wieder zurück kehren, und diese Botschaft lautet: Liebe, Liebe und nochmal Liebe, Verzeihen und Wiedergutmachen. Nur wer glaubt, dass mit dem Tode alles zuende ist, kann sich in diesem Leben verantwortungslos gemäß dem Motto: „Nach mir die Sintflut!“ verhalten, der nicht weiß, dass er mit all seinen Taten und Unterlassungen noch nach seinem Tode konfrontiert wird und dann absolut nichts mehr tun kann, um irgend etwas in Ordnung zu bringen.

Die Botschaft aus dem Jenseits lautet immer wieder: „Es gibt nur eine Realität, und das ist die Liebe.“

Elisabeth Kübler-Ross ist DIE Autorin zum Themea Sterben, Sterbeforschung, Sterbebegleitung etc. Der letzte Satz des ersten Buches, das ich je von ihr gelesen habe (Titel weiß ich nicht mehr), um mich zu vergewissern, ob ich nun verrückt geworden bin oder nicht, lautete genau so, wie ich es am Sarg empfunden hatte: "Das Leben ist mit dem Tod nicht zuende."
Hier nun einige ihrer wirklich lesenswerten und hilfreichen Bücher:




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