Klimageschichte, Hungerjahre

Das Jahr ohne Sommer 1816

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Eiszeiten und Eiszeitalter

Heute, 2016, im 21. Jahrhundert, leben wir im Känozoischen Eiszeitalter. Glauben Sie nicht? Ist die Eiszeit nicht längst vorbei? Was wir gemeinhin als "Eiszeit" kennen, war erdgeschichtlich eine Kaltzeit (das Würm-Glazial), und wir leben in einer Warmzeit dieses Eiszeitalters. Es wird erst zu Ende sein, wenn keiner der beiden Erd-Pole mehr vergletschert ist. Auch mit unseren Treibhausgasen wird das noch viele Jahrhunderte, vielleicht sogar Jahrtausende dauern.

Die Würm-Eiszeit

Unsere bekannte Eiszeit, eigentlich Würm-Kaltzeit

Man könnte meinen, während Teile Mitteleuropas und Nordeuropa vergletschert waren, hätte die Eiszeit den südlicheren Ländern, zum Beispiel um das Mittelmeer oder in den Tropen, weniger ausgemacht, denn dort war es ja trotzdem noch relativ warm. Das Problem ist, dass eine Eiszeit im Norden und Süden viel Wasser in Form von Eis bindet, weshalb der Meeresspiegel sinkt, die Luftströmungen und Meeresströmungen verändert werden und damit näher am Äquator Trockenheit herrscht.

Unser Fichtelgebirge

war in dieser Eiszeit übrigens kaum vergletschert, nicht weil es so warm war, sondern so trocken. Während sich von Norden aus Skandinavien und von Süden aus den Alpen Gletscher heranschoben, wehte bei uns ein eiskalter Wind über kahle Felslandschaften.

Die Neolithische Revolution

Als ca. 11 000 Jahre vor Christus diese "unsere" Eiszeit allmählich zu Ende ging, begannen die Menschen in den folgenden Jahrtausenden nach und nach,

sich von Jägern und Sammlern zu sesshaften Ackerbauern, Hirten und Viehzüchtern, zu entwickeln

.
Diesen Übergang nennen wir heute die Neolithische Revolution, den Übergang von der Mittelsteinzeit (Mesolithikum) zur Jungsteinzeit (Neolithikum). Die Entwicklung fand allmählich statt und von Gegend zu Gegend unterschiedlich schnell. Deshalb kann man die Grenze zur Jungsteinzeit nicht einfach auf ein Jahrhundert festlegen. Oft wird der Zeitraum der Jungsteinzeit auch so definiert, dass man bei Ausgrabungen dieser Epoche Keramik findet, aber noch keine Metallgegenstände.

Es ist nicht nur so, dass sich Menschen, die seit der Eiszeit in Mitteleuropa lebten, einfach weiterentwickelten. Vielmehr nimmt man heute an, dass mit der Erwärmung nach und nach über Jahrhunderte Einwanderungsbewegungen einsetzten, vor allem aus Südosten, entlang der Donau. Diese Menschen brachten auch kulturelle Errungenschaften wie landwirtschaftliche Arbeitsweisen mit.

Einen großen Vorteil gegenüber dem Rest der Welt bekamen die Menschen in Europa in dieser Zeit durch die sich nach und nach durch Mutation und Selektion entwickelnde Fähigkeit, Kuhmilch auch als Erwachsene zu verdauen. Während heute allgegenwärtig über die Laktoseintoleranz diskutiert, und "lactosefrei" als Werbe-Element missbraucht wird, war die

Laktose-Toleranz

vor Jahrtausenden unser Vorteil. Ähnliches gilt für "glutenfrei". Milchzucker (Laktose) oder das Klebereiweiß des Getreides (Gluten) vertragen manche Leute nicht. Das Werbeargument "frei von diesen Stoffen" erweckt jedoch den Eindruch, das wären Schadstoffe oder gar Gifte. Gerade Leute, die "sich bewusst natürlich ernähren", greifen dann oft zu diesen Produkten, obwohl gerade beide Bestandteile im Grunde natürlich sind.

Die Zeitenwende Pleistozän - Holozän (Nacheiszeitalter)

Die Höhle der Schwimmer in West-Ägypten
Die Höhle der Schwimmer, alte Felszeichnungen in West-Ägypten, mitten in der jetzt trockenen Sahara11
Die Sahara, heute knochentrocken, war zu diesen Zeiten fruchtbarer. 1933 entdeckte der ungarische Forscher und Abenteuerer Ladislaus Almásy in West-Ägypten auf einem Fels-Plateau in der Sahara uralte Felszeichnungen von Schwimmern, älter als 2000 vor Christus. Niemand glaubte ihm zunächst, als er daraus schloss, dass die Austrocknung der Sahara durch eine erst danach einsetzende Klimaveränderung bewirkt wurde. Heute ist das erwiesen und der Fundort als Höhle der Schwimmer weltberühmt.

In der Jungsteinzeit, dem Neolithikum, hatte sich Europa wieder bewaldet. Die Menschen hatten gelernt, Felder zu bearbeiten, Nutzpflanzen auszusähen und durch Zuchtauswahl für ihre Zwecke zu verbessern. Das Fichtelgebirge war damals noch wüst und fast menschenleer. Höchstens ein paar durchziehende Sippen auf der Suche nach Siedlungsland hinterließen karge Spuren. Im Winter suchten sie sich angenehmere Gegenden. Für die Welt begann nach dem 2,5 Millionen Jahre dauernden Pleistozän das Nacheiszeitalter, das erdgeschichtliche Zeitalter des Holozän, in dem wir heute leben. Und auf die Jungsteinzeit folgte die Kupferzeit oder auch Kupfersteinzeit.

In diese Zeit fällt auch eine wichtige Stufe zur Menschwerdung. Es ist die Entstehung der

Schuldfähigkeit

, legendenartig mystisch symbolisiert durch den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse im Garten Eden, dem Paradies unserer Bibel. Während sich in der Steinzeit niemand schuldig fühlte, wenn er das Recht des Stärkeren wahrnahm und einem anderen etwas wegnahm, entstand durch die Sesshaftigkeit das Recht auf Eigentum und andere Persönlichkeitsrechte. Wer diese verletzte, fühlte Schuld, die konnte ihm vorgeworfen werden, in der Legende symbolisiert durch die Vertreibung aus dem Paradies, dem Paradies der Schuldunfähigkeit.

Bronzezeitliches Klimaoptimum

Nachdem nach und nach das große Tauwetter eingesetzt hatte, zunächst noch mit Unterbrechungen, stieg mit etwas Verzögerung über die Jahrtausende auch die Fruchtbarkeit in Südeuropa, Nordafrika und Vorderasien. Die Jungsteinzeit wurde durch die Kupferzeit abgelöst und obwohl, oder vielleicht sogar weil, gleichzeitig die lange Zeit fruchtbare Sahara austrocknete und sich weltweit andere Wüsten bildeten, entstanden ca. 4000 Jahre vor Christus auf Höhe des Mittelmeers die ersten Hochkulturen der Ägypter am Nil, der Babylonier in Mesopotamien und etwas später die der Perser und Griechen.

Weiter nördlich errichteten die Menschen auf den britischen Inseln mit großem Aufwand Kalenderbauten wie Stonehenge, in Mitteleuropa  Kreisgrabenanlagen wie die in Goseck und stellten die  Himmelsscheibe von Nebra her. Die zugehörigen Kulturen liegen noch weitgehend im Dunkel der Geschichte.

Die Völker müssen einige Jahrtausende lang paradiesische Zustände erlebt haben und es ist gut möglich, dass die vielen Legenden eines Paradieses, wie sie auch in unserem Alten Testament der Bibel stehen, hier ihren Ursprung haben, eine Zeit, die wir heute als das Bronzezeitliche Klimaoptimum kennen.

Die Klimakatastrophen zum Ende der Bronzezeit

Die Vertreibung aus diesem Paradies setzte ein, als durch den Anstieg der landwirtschaftlichen Erträge auch die Bevölkerungszahl stieg, was wiederum Migrationsbewegungen verursachte. Hinzu kam, dass sich einige Jahrtausende vor Christus wieder eine Verschlechterung des Klimas in diesen Breiten anbahnte. Die Sahara, vorher fruchtbar, war ausgetrocknet, nur in  Ägypten hielten sich mit dem Wasser des Nils und genialer Bewässerungstechnik die Hochkulturen der Ägypter relativ lange.

Dass die Israeliten damals begannen, nach dem Land zu suchen, in dem Milch und Honig fließt, liegt bestimmt auch daran, dass das Niltal die aus der Sahara geflohenen Menschenmassen, die sich dort auch noch vermehrten, nicht mehr ernähren konnte. Die Israeliten waren in Ägypten durchaus nicht nur Sklaven, sie machten sich vor allem deshalb auf die Suche, weil durch Überbevölkerung der Platz in dem schmalen Streifen links und rechts des Nils langsam eng wurde und die Nahrungsmittel knapp. Das verursachte Konflikte, die mit weniger Bevölkerungsdichte kein Problem gewesen wären. Hier haben wir sie wieder: Die Überbevölkerung.

Für den Orient spricht man sogar vom Zusammenbruch der Bronzezeit. Die Klimakatastrophe mit sinkenden landwirtschaftlichen Erträgen verursachte im gesamten Morgenland (Naher Osten) in Verbindung mit den zu hohen Bevölkerungszahlen labile Verhältnisse, die sich in Völkermord und Massenmord entluden. Man braucht nur das Alte Testament unserer  Bibel zu lesen, wo sich der gute alte Moses, im Kindergottesdienst als gutmütiger bärtiger Opa dargestellt, nach unseren heutigen Wertvorstellungen als Massenmörder, Völkermörder und Kriegsverbrecher entpuppt.

Menetekel der Zeitenwende - Die dunklen Jahrhunderte der Antike

Um 1000 vor Christus waren die paradiesischen Zustände endgültig zu Ende. Die Dark Ages des Altertums waren angebrochen, die Dunklen Jahrhunderte der Antike. Die ägyptischen Hochkulturen verloren in der Dritten Zwischenzeit an Bedeutung, und die Pharaonenherrschaft ging zu Ende. Die sogenannten Seevölker terrorisierten das östliche Mittelmeer. In Anatolien war das Reich der Hethiter zu Grunde gegangen.

In Israel scheint die Welt um diese Zeit noch in Ordnung gewesen zu sein, da Davids Sohn Salomo im 10. Jahrhundert vor Christus gerade dabei war, den ersten Jerusalemer Tempel zu bauen. Erst im 6. Jahrhundert vor Christus setzte auch hier der Niedergang ein:

Durch die Eroberung  Jerusalems durch die Babylonier ging diese Blütezeit der Israeliten zu Ende. 586 vor Christus ließ Nebukadnezar II. den Tempel in Jerusalem zerstören und viele der besten Israeliten nach Babylon entführen. Möglicherweise war die Bevölkerung Babylons durch die vorhergehenden Klimaveränderungen mit darauf folgenden Seuchen im Zweistromland Mesopotamien zwischen Euphrat und Tigris stark dezimiert worden, weshalb dort Menschen dringend gebraucht wurden, wahrscheinlich auch, um den Turmbau zu Babel zu vollenden. Die Sprachenverwirrung ist kein Wunder, wenn die Babylonier von überall her Menschen deportierten. Auf heutigen Großbaustellen finden wir die gleiche Sprachverwirrung.

Einige Jahrzehnte später erschien dem Sohn oder Enkel Nebukadnezars, dem babylonischen Kronprinzen Belsazar unserer Bibel zufolge eine geisterhafte Schrift an der Wand, das Menetekel. Der  biblische Prophet Daniel (Kapitel 5, Verse 5 bis 31) legte es ihm aus: »Deine Tage sind gezählt. Du wurdest gewogen und zu leicht befunden. Dein Reich wird zerteilt werden.« Und tatsächlich kam es so, in den Wirren der Klimaänderungen, Eroberungen und Migrationsbewegungen. Bekannt wurde das Gedicht von Heinrich Heine:  Belsazar, Menetekel.

Griechen

Etwas später hörten auch die  Griechen auf, großartige antike Kunst herzustellen und Paläste zu bauen. Die Schwäche der sie umgebenden Reiche ermöglichte jedoch Alexander III. von Makedonien (Alexander der Große) seine weitläufigen Eroberungsfeldzüge, und der Hellenismus verbreitete die griechische Kultur, bis schließlich die Römer die Führungsrolle um das Mittelmeer errangen.

Germanen

Mitteleuropa war im Osten dünn von germanischen Stämmen bevölkert, die sich selbst gar nicht als Germanen bezeichneten. Den Namen gaben ihnen die Römer. Gemeinsam hatten die einzelnen Stämme und Sippen eine zumindest ähnlich klingende Sprache und der Glaube an die germanischen Götter. Durch die geringe Bevölkerungsdichte konnten sie klimatische Schwankungen lange ausgleichen.

Ab 800 vor Christus kühlte sich das Klima in Mitteleuropa allmählich ab, was zum Beispiel die germanischen Kimbern und Teutonen wegen Ernteausfällen und Hungersnötenang um 120 vor Christus zwang, nach Süden zu wandern und sich neues Siedlungsland zu suchen. Dabei trafen sie um 113 vor Christus bei Noreia (Noricum) in den östlichen Alpen auf die Römer, gegen die sie sich gar nicht so schlecht schlugen.

Kelten

Weiter im Westen einte die keltische Kultur in der Eisenzeit die Völker von Britannien über das heutige Frankreich bis zur Iberischen Halbinsel. Auch bis Mitteleuropa reichte der keltische Einfluss. Neben den bekannten Keltengebieten im heutigen Hessen, Baden-Württemberg und Österreich gab es frühkeltische Siedlungen auch bei uns in Oberfranken, zum Beispiel am Main von Bamberg bis Bayreuth ( Die Kelten).

Römer

Die keltischen Völker wurden von den Römern mit ihren durchdachten Verwaltungsstrukturen romanisiert und praktisch assimiliert. Unruhe kam erst wieder nach der starken Vermehrung der Bevölkerung in diese Gebiete. Die folgende Völkerwanderungszeit mit ihren chaotischen Migrationsbewegungen war gekennzeichnet von Menschenmassen, die nach Lebensraum suchten. Die Römer verloren an Macht und das Römische Reich ging um das 7. Jahrhundert unter. Erst zum Beginn des Mittelalters ließ das Klima in Europa wieder bessere Lebensbedingungen zu.

Die Zeit der Völkerwanderungen

Auf den ersten Blick meint man, dass man über Zeiträume, die zeitlich näher liegen, mehr wissen müsste, als über fernere Jahrtausende. Das ist jedoch nicht immer richtig. Über die Kultur der Ägypter wissen wir so viel, weil sie über Jahrtausende ein stabiles Gesellschaftssystem hatten, viel schrieben und ihre kulturellen Leistungen im trockenen Wüstensand gut erhalten blieben. Durch den sich über Jahrhunderte hinziehenden Zusammenbruch des Römischen Reiches, den Einfall der Hunnen und Ähnliches war die Zeit vom 4. bis zum 6. Jahrhundert nach Christus dagegen sehr chaotisch. Aufzeichnungen für die Nachwelt sind eher dürftig.

Aus dieser Zeit gibt es Nachrichten über die sogenannte

Justinianische Pest

, die wahrscheinlich von der

Klimaanomalie der Jahre 536 bis 550

ausgelöst wurde. Manchmal wird dieser Zeitabschnitt mit kalten und nassen Sommern bis ins 7. Jahrhundert hinein auch Kleine Eiszeit der Spätantike genannt. Die Pestwellen waren jedoch weniger katastrophal als im Spätmittelalter, weil die Bevölkerungsdichte noch nicht so groß war. Die mittelalterlichen Städte mit engen Lebensverhältnissen gab es noch nicht.

Runenstein von Rök in Östergötland
Der Runenstein von Rök in Östergötland, Foto: Charis Haska
Ein Zeugnis aus dieser Zeit ist der

Runenstein von Rök in Östergötland

. Datiert wird er zwar ungefähr auf das Jahr 800, er berichtet jedoch von einem Ereignis neun Generationen vorher, dem sogenannten Fimbulwinter, in dem die Hälfte der Bevölkerung Skandinaviens gestorben sein soll. Zeitlich könnte sich das also auf die oben genannte Klimaanomalie beziehen, worauf auch die bekannte Ragnarök-Sage hinweist, die von einem Weltuntergang, dem Kampf der Götter mit Riesen und anschließender Entstehung einer neuen Welt durch eine Art Friedensvertrag der Asen berichtet. Das erinnert uns natürlich an die  Offenbarung des Johannes in unserer Bibel.

Die Mittelalterliche Warmzeit, das Mittelalterliche Klimaoptimum

Das bis dahin nahezu menschenleere Fichtelgebirge füllte sich im Hochmittelalter innerhalb kurzer Zeit, als bei uns, wie auch im Erzgebirge, der Bergbau auf Zinn, Eisen und viele andere Bodenschätze einsetzte. Nicht nur die Bergleute arbeiteten in ihren Stollen, auch Hochöfen und Hammerwerke mussten gebaut und betrieben werden. Die Nachfrage nach Lebensmitteln stieg, und begünstigt durch warmes Klima erlebte die Landwirtschaft einen Boom. Der Holzbedarf der Eisenverarbeitung schuf kahle Flächen und die Bauern nutzten die Rodungsflächen für die Landwirtschaft. Begünstigt durch die Mittelalterliche Warmzeit brachten die Felder auch bei uns in Bayerisch Sibirien gute Erträge. Dass man die Zeit das "dunkle Mittelalter" nennt, liegt nämlich nicht am Klima, das war ausgesprochen angenehm, sondern an den Menschen. Waffengewalt, Kriege, Leibeigenschaft, überzogene Frondienste und die Ketzerverfolgungen der Inquisition verliehen den Jahrhunderten diese Bezeichnung.

Durch das günstige Klima im Mittelalterlichen Klimaoptimum vermehrten sich die Menschen in Europa trotzdem. Das Bevölkerungswachstum begünstigte vor allem in den großen Städten mit ihren engen Wohnverhältnissen die Ausbreitung von Seuchen. Die Pest zog übers Land und erreichte im 14. Jahrhundert auch unsere Gegend. Auch früher kamen die Menschen schon vereinzelt mit den Pesterregern in Kontakt, aber erst die  Überbevölkerung, die durch das vorteilhafte warme Klima des Hoch-Mittelalters erzeugt wurde, bildete in Verbindung mit Klimaeinbrüchen, die Missernten und Hungersnöte erzeugten, und die Menschen schwächten, den Nährboden für die großen Epidemien und Pandemien der Pest.

Klimaeinbrüche als Vorboten der Kleinen Eiszeit und Auslöser von Pestepidemien

Schon im 14. Jahrhundert führten mehrere Kälteeinbrüche zu Missernten und Hungersnöten. Es waren die Vorboten der Kleinen Eiszeit. Durch die mangelhafte Ernährung der Bevölkerungs-Massen wurden die körperlichen Abwehrkräfte der Menschen geschwächt und im engen Zusammenleben und der mangelhaften Hygiene der entstandenen Städte hatten die Pestepidemien leichtes Spiel. Ausgrabungen von Pestopfern aus dem Jahr 1349 in England ergaben, dass der Pest vor allem unterernährte und immungeschwächte Menschen zum Opfer fielen.10 Im Umkehrschluss kann man sagen, dass in einer intakten Gesellschaft mit gesunden Menschen keine Pandemie aufgetreten wäre, sondern nur einzelne Erkrankungen.

Ein Jahr vorher, 1348, erlebte England ein sehr regenreiches, kaltes Jahr und auch davor gab es schon mehrere Hungersnöte aufgrund von Missernten. Sechs Jahre zuvor, um den Magdalenentag, den 22. Juli 1342, dem Gedenktag der  Heiligen Maria Magdalena, verwüstete das bekannte Magdalenenhochwasser weite Teile Mitteleuropas. Nachdem die Vorräte aufgebraucht waren, hatte die erste Pestepidemie seit fast 500 Jahren leichtes Spiel. Von 1347 bis 1386 suchte sie Europa heim. In diese Zeit fiel übrigens auch die bekannte Zweite Marcellusflut, die am 16. Januar 1362 die deutsche Nordseeküste heimsuchte und dabei wahrscheinlich die legendären Orte Rungholt und Niedam verschlang. Man vermutet als Hauptursache, dass die von der Pest dezimierte Bevölkerung nicht mehr in der Lage war, die Deiche in Ordnung zu halten. Eine intakte Gesellschaft hätte auch Katastrophen wie die Marcellusflut wesentlich besser überstanden.

Immer wieder liest man, dass Historiker rätseln, warum es vom 8. bis zum 13. Jahrhundert keine großen Pestepidemien gab. Die Hauptursache ist das Mittelalterliche Klimaoptimum, das den Menschen gute Lebensgrundlagen und Ernährung ermöglichte. Wahrscheinlich beruhte auch die verheerende Wirkung der Spanischen Grippe ab 1918 weniger darauf, dass es sich um einen besonders gefährlichen Erreger handelte, sondern vielmehr darauf, dass die Menschen und die Gesellschaft durch den 1. Weltkrieg geschwächt waren. Allgemein kann man daraus schließen, dass Katastrophen, welche die Ordnung der Gesellschaft stören und eine Schwächung der Menschen hervorrufen, oft noch weitere Unglücke, vor allem Seuchen, nach sich ziehen, praktisch in Serien auftreten. Vielleicht rühren daher auch die  Legendenbildungen der zehn biblischen Plagen im alten Ägypten, die Sieben Plagen der Endzeit und die vier apokalyptischen Reiter in der Offenbarung des Johannes.

Für die Zukunft kann man daraus nur die Lehre ziehen, dass auch unsere moderne Gesellschaft umso labiler wird, je mehr die Menschen sich vermehren. Eine Bevölkerungszunahme von 70 000 000, Siebzig Millionen, pro Jahr (!) wird irgendwann zum Kollaps führen. Nicht durch die Pest, aber Auslöser gibt es viele. Die Schwelle zu großen Kriegen, aufgebaut durch den Schock der beiden Weltkriege, sinkt wieder, und in einem kriegerischen Chaos völlig neuer Dimensionen wird uns auch unsere moderne Technik und Medizin nicht retten können. Auf Dauer hilft nur eins: Eine Verringerung der Bevölkerungszahl.

Die Kleine Eiszeit

Ab dem 15. Jahrhundert setzte sich die schleichende Entwicklung fort: Es wurde kälter! Die Zeit vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, die wir heute als die Kleine Eiszeit bezeichnen, bestand aus mehreren jahrzehntelangen Kälteanomalien und hatte keine Vergletscherungen zur Folge, dazu war die Zeit zu kurz und die Abkühlung zu schwach. Kalte und nasse Sommer ließen die Feldfrüchte schlecht gedeihen und schon vor der Ernte auf den Feldern verrotten.

Kalte, verregnete Sommer

Katastrophal war die Europäische Hungerkrise von 1770 bis 1772. Missernten durch kalte, nasse Sommer in drei aufeinanderfolgenden Jahren schwächten die europäische Bevölkerung. Eine direkte Folge waren Seuchen wie zum Beispiel eine große Epidemie der Mutterkornseuche. Durch den Verzehr von mit dem Mutterkornpilz belastetem Getreide entstehen Krankheiten wie das Antoniusfeuer, auch Kriebelkrankheit, Ergotismus, Gliedbrand oder Mutterkornvergiftung genannt.

Der Jahrtausend-Winter 1708-1709

Nicht nur kalte verregnete Sommer machten den Menschen zu schaffen. Auch lange andauernde kalte Winter brachten Hunger und Tod. Ab Mitte Oktober 1708, fünf Monate lang, herrschte in Mitteleuropa eisige Kälte ohne Unterbrechung. An den Innenwänden gefror das Kondenswasser, das Wintergetreide erfror auf den Feldern und am Rhein die Weinstöcke. Der Winter 1708-1709 blieb als Jahrtausend-Winter in Erinnerung und soll hunderttausenden den Tod gebracht haben. Auch Auswanderungswellen nach Nordamerika, wie die Massenauswanderung der Pfälzer 1709 waren die Folge.

Als Ursachen der Kälteeinbrüche nimmt man an:
  • Eine verringerte  Sonnenaktivität
  • Vermehrten Staubgehalt in der Atmosphäre durch  Vulkanismus
  • Verringerung des Golfstromes
  • Schwankungen der  Erdumlaufbahn und der Neigung der Erdachse ähnlich den Milankovic-Zyklen
  • Eine veränderte Bewaldung Amerikas durch die Europäischen Einwanderer und die Konquistadoren
Welcher Faktor wie viel beigetragen hat, ist umstritten, jedoch halte ich nur die ersten beiden für plausibel.

Kriegerische Horden wie die Hussiten setzten den Überlebenden zu und zum Beginn der Neuzeit brachte der Dreißigjährige Krieg den Tiefpunkt der Tragödie. Die Haupt-Folge des Ganzen war eine Verringerung der Nahrungsmittelproduktion mit Hungersnöten in den unteren Bevölkerungsschichten. Manche Historiker nehmen sogar Klimaschwankungen und die darauffolgenden Hungersnöte und Migrationsbewegungen als Ursache von Kriegen an. Auch Glaubenskriege und der Höhepunkt der Hexenverfolgungen in der frühen Neuzeit lassen sich auf Kälteeinbrüche zurückführen, da man Klimaanomalien nicht den Naturgesetzen zuschrieb, sondern dem Zorn Gottes und anderen mystischen Einflüssen. Erst nachdem sich die Erkenntnisse der Aufklärung und die Überzeugungen des Renaissance-Humanismus durchsetzten, hörte man allmählich auf, schlechte Ernten den Verwünschungen von Hexen oder dem sündhaften Treiben Andersdenkender Völker oder Bevölkerungsgruppen zuzuschreiben.

Aus heutiger Sicht war die Kleine Eiszeit aber auch ein Weckruf für die Menschheit, aus der Lethargie des Mittelalters zu erwachen, und in der beginnenden Aufklärung technische und gesellschaftliche Strategien zu entwickeln, um zu überleben. Das ging nicht ohne Opfer, Katastrophen und Kriege, aber dieser Entwicklung verdanken wir unser heutiges modernes Leben. Die Kleine Eiszeit und die Pest dezimierten zwar die Bevölkerung, beschleunigten aber den Fortschritt. Möglicherweise verhält es sich mit der ersten weltweiten Katastrope des 21. Jahrhunderts, der  Corona-Pandemie, ebenso. Hoffentlich!

Klimaschwankungen als Ursache von Kriegen,
Pest und Hunger, nachzulesen bei

 Wolfgang Behringer,

 Kulturgeschichte des Klimas,
Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung
Kulturgeschichte des Klimas - Wolfgang Behringer


1816, das Jahr ohne Sommer, Klimageschichte unserer Heimat

Als sich Anfang des 19. Jahrhunderts die Kleine Eiszeit ihrem Ende zuneigte und die Temperaturen langsam wieder stiegen, und Napoleon uns im Fichtelgebirge von Preußen zu Bayern gemacht hatte, folgte im Jahr 1816 ein weiterer abschließender klimatischer Paukenschlag:

Ein von  Harald Stark übertragener Auszug aus dem Marcks Buch deß Marcks Leuthen (heute Marktleuthen), angefangen im Jahr 1647, enthält darüber einen Bericht von Friedrich Theodor Ruckdeschel, dem Bürgermeister um 1816:

Er berichtet, dass der von Kaiser Napoleon Bonaparte entfachte jahrelange Krieg zwar viele Belastungen durch umherziehende Kriegs-Heere, Einquartierungen, Requisitionen und Contributionen brachte. Da die üppig segensvolle Natur jedoch während der ganzen Dauer dieses verheerenden Krieges ihr Füllhorn über die Erde ausgoss, konnte man alle auch noch so gebieterischen Forderungen der Krieger befriedigen. Nach Kriegsende 1815 hoffte man trotz der aufgezehrten Vorräte wieder glücklichere und frohere Tage zu genießen.

Aber die Millionen, welche zuletzt auf dem Schauplatze erschienen, hatten im gleichen Grade die Consantion [Nachfrage] vermehrt und die Produktion vermindert, weshalb nun die größte aller Plagen erschien, die noch nie erhörte Teuerung aller Produkte, denn das Jahr 1816 war allenthalben ein vollkommenes Miß-Wachs-Jahr. Anhaltender Regen, entbehrter Sonnenschein, die man dies ganze Frühjahr und Sommer durch missen musste, ließen freilich eine schlechte Ernte im voraus sehen.

Die Befruchtung von Blumenstaub [Blütenstaub] fand nur spärlich statt, und so kam es, dass die meisten Ähren taub auf den Halmen standen und der ununterbrochene Regen erzeugte mehr Gras als Getreide. Auch wurde das Futter auf tiefliegenden Wiesen ganz ersäuft und überschleimt und es war für Mensch und Vieh nichts als Elend zu gewärtigen. Schon vor der Ernte im Jahr 1816 fingen die Getreide-Preise überall zu steigen an. Für einen Bayrischen Scheffel (222 Liter) Korn (Roggen) von

  • 16 fl. rh. (Rheinische Gulden) im Mai auf
  • 17 fl. im Juni,
  • 30 fl. im September
  • 36 fl. Im April 1817
Ähnliche Verhältnisse herrschten bei Weizen, Gerste, Hafer, Kartoffeln, und in der Folge auch bei Brot, Semmeln und Bier. Polizey-Taxe und der Bauer und überhaupt die Wucherer trieben die Preise noch höher, berichtet Bürgermeister Ruckdeschel. Zwar konnte Getreide aus Preußen, Polen und Russland herbeigeschafft werden, und allein das Sechsämterland soll 300.000 Gulden für importiertes Getreide aufgebracht haben,1 aber durch die theure Fracht musste der Mittel Mann zusetzen und die Armen konnten nichts kaufen. In vielen nahgelegenen Orten verhungerten mehrere Menschen, weil sie nichts mehr zu leben hatten und oft nur froh waren, wenn sie unterm Kehricht Erdäpfelschalen oder sonst dergleichen Abgänge heraus lesen und zum Mund bringen konnten. … Stöcke, die nur haselnussgroße Erdäpfel hatten, wurden herausgerissen, so dass man gezwungen war, Flurwachen, welche Tag und Nacht aus 6 bis 8 Mann bestehend patroullieren mussten, anzuwerben.

Bei einer solch elenden Kost konnte es nicht anders sein, als dass viele solcher Menschen erkrankten, sie geschwollen am ganzen Leibe, oder gingen sonst als Schattenbilder herum, doch war es Gott sey Dank hier im hiesigen Markte der Fall nicht. Ruckdeschel beschreibt also ein apokalyptisches Szenarium, schränkt aber sofort ein, dass es offenbar in unserer Stadt nicht der Fall war!

Der Ausbruch des Vulkans Tambora

Im April 1815 brach weit entfernt in Indonesien der Vulkan Tambora aus. Dabei verlor der ca. 4000 m hohe Berg gut die Hälfte seiner Gesteinsmasse. Der Ausbruch übertraf sogar den des Vesuvs im Jahr 79 nach Christus. Der amerikanische Klimaforscher William Jackson Humphrey sah ab 1920 diesen Ausbruch als Ursache für die Missernten. Durch die Eruptionen wurde feine Vulkanasche in die hohe Atmosphäre transportiert, die sich zeitverzögert über die gesamte Nordhalbkugel verbreitete.2 Die Folgen spürten vor allem Nordamerika und Mitteleuropa in Form verringerter Sonneneinstrahlung und großflächigen Unwetterereignissen. Missernten und ein Einbruch der Nahrungsmittelproduktion waren die Folgen dieses Vulkanischen Winters. Die Lebensmittelpreise explodierten. So kam es, dass vor allem das folgende Jahr als das Hungerjahr 1816 in Erinnerung blieb und der lange darauffolgende Winter als Hungerwinter Achtzehnhundertundzutodegefroren.

Vergleicht man Tabellen mit gemessenen Jahresdurchschnittstemperaturen, Baumringdiagramme und Daten von Eisbohrkernen, die mittels Schwefeleinlagerungen Vulkanausbrüche zeigen, fallen viele Widersprüche auf. Nach einer Tabelle der mittleren Monatstemperaturen für Bayreuth lagen im Jahr 1916 die Sommertemperaturen ca. 2° Celsius unter dem 20-Jahre-Durchschnitt3, gemessen allerdings mit Thermometern mit ±1° Ungenauigkeit. Obwohl nach Berichten auch und besonders in Nordamerika ein kalter Sommer die Ernten vernichtete, findet man in überregionalen Temperaturdiagrammen der Nordhalbkugel oft keine signifikante Temperaturänderung ab 1816. Da gut 20 Jahre später, 1838, die Durchschnittstemperaturen nach manchen Aufzeichnungen noch niedriger lagen,4 ohne große Hungersnöte zu verursachen, könnte man annehmen, dass weniger die reduzierte Temperatur, als vielmehr die Abschirmung des für die Photosynthese wichtigen kurzwelligen Sonnenlichts durch den Vulkanstaub in der Atmosphäre die größere Rolle für die gravierende Reduzierung des Pflanzenwachstums spielte.

Als einzig völlig objektives aktuelles Kriterium müsste die Baumringbreite, also der Holzzuwachs im jeweiligen Jahr bei heute gefällten Bäumen für 1816 einen deutlichen Einbruch zeigen. Als lichthungrige Baumart müssten die Eichen dem Wachstum der Feldfrüchte dabei am nächsten kommen. Die Traubeneiche zeigt zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen schon ab der Jahrhundertwende ein reduziertes Wachstum, aber einen sprunghaften Anstieg ab 1815/16! Für diesen Wachstumsschub bei Bäumen könnte ein Dünge-Effekt durch die fruchtbare Vulkanasche verantwortlich sein, der bei Feldfrüchten die gegenteilige Wirkung zeigte: In Verbindung mit einem offenbar niederschlagsreichem Jahr wurden diese möglicherweise von Algen, Flechten, Moosen und Fäulnis behindert, die sich in der feuchten Vulkanasche schlagartig ausbreiteten, weshalb Bürgermeister Ruckdeschel auch von überschleimten Wiesen und schleimigem Futter berichtet.

Ein Vergleich mit den zehn biblischen Plagen in Ägypten, drängt sich auf. Sie wurden wahrscheinlich durch einen großen Vulkanausbruch im 16. Jahrhundert vor Christus verursacht, welcher der Vulkaninsel Thera in der Ägäis ein völlig anderes Aussehen verlieh und aus ihr die heutige Inselgruppe, das Archipel, Santorin machte. Das ist nicht zu vergleichen mit dem Ausbruch von 1649 / 1650 nach Christus, bei dem "nur" der bei Santorin liegende Unterwasservulkan Kolumbos ausbrach und einen Tsunami verursachte.

Dass es in vielen Gegenden Missernten in diesem Jahr gab, ist durch unabhängige Berichte aus verschiedenen Regionen erwiesen. Durch geeignete Verteilung der Lebensmittel hätte dadurch aber niemand verhungern müssen. Die Vorratshaltung, besonders für die Städte, war auch damals schon recht gut staatlich geregelt. Auch den Tambora-Ausbruch allein dafür verantwortlich zu machen, ist zu einfach. Die Temperaturverläufe für Berlin, Karlsruhe, Paris, Mailand, Greenwich und andere Städte zeigen zum Beispiel deutlich fünf kalte Sommer ab 1812, also drei Jahre vor dem Ausbruch!2

Als Zusammenfassung bleibt nur, den starken Anstieg der Nahrungsmittelpreise und den Hunger
auf mehrere ungünstig zusammentreffende Faktoren zurückzuführen:


Durch die vorangegangenen Napoleonischen Kriege waren die Nahrungsmittel-Vorräte aufgebraucht und die Infrastruktur und Verwaltung Mitteleuropas geschwächt. Aus einem ähnlichen Grund hat sich die Kleine Eiszeit im 17. Jahrhundert besonders schwer ausgewirkt, weil Europa durch den vorangegangenen Dreißigjährigen Krieg stark geschwächt war.

Und Missernten durch feucht-kalte Witterung erzeugen bei knappem Angebot und aufgebrauchten Vorräten eben auch

  • Hamsterkäufe von denen, die Geld haben,
  • Panikkäufe von denen, die Angst haben,
  • Zweckpessimismus und Verbergen von Vorräten bei denen,
    die nichts hergeben wollen oder auf zusätzliche Hilfe von außen hoffen,
  • Spekulationskäufe von rücksichtslosen Händlern und Glücksrittern.
Erst dadurch wurde die zweifellos schlechte Lage dramatisch verschärft und die Erhebung der Ernteerträge durch die Kreisregierungen möglicherweise verfälscht. Deswegen wurde ein Mangeljahr zu einer Katastrophe und deswegen war diese Hungersnot nicht ausschließlich naturgemacht, sondern vor allem auch menschengemacht. Die katastrophale Situation war nicht nur ein Mengenproblem, sondern auch und vor allem ein Verteilungsproblem, ein soziales Problem, die gleiche Misere, wie sie sich heute in vielen Staaten Afrikas zeigt, das mengenmäßig mehr als seine gesamte Bevölkerung versorgen könnte. Am stärksten zu leiden hatten und haben wie immer die Armen und deren Kinder.

Die teilweise paradoxen Verhältnisse erkennt man an einem Beispiel in Regensburg am 8. Juli 1817: Getreide kommt von den Bauern auf dem Land. An diesem Tag aber brachen in Regensburg nach größten Theils überstandenem Leiden … grobe Gewaltthätigkeiten aus, weil die Landbevölkerung versucht hatte, Brot in der Stadt zu kaufen. Offenbar hat man die Landbevölkerung gezwungen, Getreide zu verbilligten Preisen an die Stadt abzugeben, um die dortige Bevölkerung zu versorgen, weshalb das Brot in der Stadt billiger war als auf dem Land! Man hatte Angst vor Unruhen und subventionierte sogar das Brot in der Stadt.5 Die Grenzen zwischen erforderlicher Machtausübung und Machtmissbrauch waren schon immer schwer zu ziehen.

Im Jahr 1816 führt der Finanzdirektor des Regenkreises die Getreide-Teuerung neben der schlechten Ernte ebenfalls auf die wirtschaftliche Erschöpfung nach den Kriegen zurück. Er schreibt, dass auch im Dezember 1816 noch kein Mangel auf den Märkten festzustellen ist.6 Im Herbst 1817, als die Lebensmittelpreise noch genau so hoch waren wie im Jahr zuvor, schrieb der kritische Schriftsteller Franz von Spaun, dass die Teuerung keine Folge von Mangel oder Missernten war, die Ernte im aktuellen Jahr sogar die beste seit langem. In der Veröffentlichung eines M.R. aus München ist zu lesen, dass wir noch immer keine wahre Noth haben, sondern eine künstlich erzeugte Wucher-Theuerung.7

Bei uns im Fichtelgebirge scheint im Herbst 1817 das Schlimmste überstanden zu sein. Der Marktleuthener Bürgermeister Ruckdeschel berichtet, dass im Markt acht Hauptarme unterstützt werden mussten und weiterhin: Rind Vieh litt in diesem Jahr wegen des schlechten schleimigen Futters [vom Vorjahr] an der Lungenfäule, und obgleich bei uns mehrere dergleichen Stück geschlachtet werden mussten, so wurde doch das Übel nicht epidemisch, sondern zeigte sich immer nur einzeln. … So zeigte sich am 14. August 1817 für uns der Hoffnungs-Strahl. Nämlich an diesem Tage nachmittags sammelte auf seinem Feld in der oberen Loh der hiesige Metzgermeister Johann Georg Kischpert das erste Fuder Gerste, und es wurde beschlossen, dieses erste Fuder "Gedraidt" zur Ehr und Preiß des Allerhöchsten unter abwechselnder Vocal- und Instrumentalmusik festlich zu empfangen.

Dass die Verwaltungen der Städte und Regionen es nicht schafften, durch Vorratshaltung und Ausgleich solche Miseren zu verhindern, war sicher auch mit ein Anlass für die Sozialrevolutionen des 19. Jahrhunderts, eine erste von vielen Auswanderungs-Wellen, bis hin zu antisemitischer Hetze. Die Juden, als geschickte Händler, profitierten mancherorts von der Krise und wurden als Kornjuden und jüdische Wucherer beschimpft, die das Korn auf Theuerung liegen lassen, und einen übermäßigen Gewinn damit sich zu verschaffen trachten8 oder Schlagworte wie der Jude habe während der Hungerjahre die Gunst der Zeit genutzt.9 So kam es 1819 zu den bekannten Hep-Hep-Unruhen in Würzburg und vielen anderen Städten, bei denen auch schon Synagogen, Geschäfte und Wohnungen von Juden zerstört wurden.

Vulkane

Zu allen Zeiten schrieben Vulkanausbrüche Geschichte: Schon 33 Jahre vorher brachte der Ausbruch des isländischen Vulkans Laki, der aus einer ganzen Reihe von Kratern besteht, Missernten und Hungersnöte über Europa. Der Laki war ganze 8 Monate aktiv und die Aschewolken des Ausbruchs zogen über Mitteleuropa. Er stieß geschätzte 100 Millionen Tonnen giftiges Schwefeldioxid aus und spuckte 13 km³ Lava. Das Schwefeldioxid vergiftete die Feldfrüchte und in der Folge auch Menschen und Tiere. Man geht davon aus, dass an den Folgen 2 Millionen Menschen starben. Die dadurch ausgelösten sozialen Verwerfungen waren sicher ein Mit-Auslöser der Französischen Revolution. Viel bekannter ist ein weit zurückliegender Vulkanausbruch: Am 24. August des Jahres 79 nach Christus begrub der Vesuv die Städte Pompeji, Herculaneum, Oplontis und Stabiae unter Aschemassen. Pyroklastische Ströme, die aus schnell fließenden glühenden Aschewolken bestehen verbrannten die Menschen am Golf von Neapel. Für die Historiker ein Glücksfall: Finden wir doch dort die besterhaltenen römischen Artefakte. Wären sie nicht meterhoch von den Ascheschichten überdeckt und damit konserviert worden, wären die Fresken, durch die wir unübertreffliche Informationen über das Leben der alten Römer erhalten, längst der Witterung und dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen ( Der Vesuv, Pompeji und der Golf von Neapel). In naher Vergangenheit ist den meisten von uns wohl noch der Ausbruch des Eyjafjallajökull in Island in Erinnerung, der im Jahr 2010 mit seinen Aschewolken europaweit für Beeinträchtigungen des Luftverkehrs sorgte. Unter den Gletschern Islands lauern aber noch viel größere Gefahren und Energien, wie zum Beispiel die Krater des Katla, die in der Vergangenheit alle 40 bis 80 Jahre ausbrachen. Der letzte Ausbruch war 1918. Sie sind also längst überfällig. Und: Je länger es dauert, um so mehr Energie kann sich aufbauen!

Chaos und Leid als Normalzustand?

Dass wir in Mitteleuropa im 21. Jahrhundert auf über 60 Jahre satten Wohlstand zurückblicken können, sollten wir nicht als selbstverständlich hinnehmen, und glauben, das Gespenst des Hungers sei damit automatisch und endgültig vertrieben. Uns Krieg, Katastrophen und Hunger vom Leib zu halten, verlangt auch in Zukunft Wachsamkeit und vorausschauendes und besonnenes Handeln. Volle Regale in den Supermärkten sollten uns nicht die Bauern vergessen lassen, die mit lächerlich niedrigen Erzeugerpreisen zu immer intensiverer und industrialisierter Landwirtschaft gezwungen werden, was eine Ausbeutung unserer Natur zur Folge hat. Wo wird es hinführen, dass wir inzwischen Nahrungsmittel zu Biosprit vergären, bei einer Weltbevölkerung, die pro Jahr um über 70 Millionen Menschen zunimmt? Wie die Kaninchen auf die Schlange starren wir auf den  Klimawandel und unseren Ausstoß von Treibhausgasen und haben nicht den Mut, auch mal andere auf ihr schädliches Verhalten hinzuwesien: »Ihr Afrikaner und Südasiaten, hört endlich auf, euch zu vermehren wie die Karnickel, auch das führt direkt in die Katastrophe!«.

Auch der

Ukraine-Krieg ab 2022

hat gezeigt, dass unser Traum von immerwährendem Frieden und Wohlstand auf wackligen Füßen steht. Er traf auf schon vorhandene Verunsicherungen durch die Corona-Pandemie. Durch die Waffenlieferungen an die Ukraine sind wir indirekt Kriegspartei geworden und das Gespenst von Inflation und Kriegsangst ist zurückgekehrt. Ob unser Verhalten in diesem Konflikt richtig oder falsch war, werden die Historiker in ein Paar Jahrzehnten beurteilen.

Zur Erinnerung und Mahnung an das Hungerjahr wurden unter anderem Schraubtaler hergestellt. Dabei handelt es sich um Medaillen aus zwei dünnen Teilen, die mit einem Gewinde verbunden sind. Im Innern findet man Texte und Bilder auf den Innenseiten der beiden Teile und auf eingelegten Trägern aus Papier, Pergament oder sogar Glas. Solche Schraubmünzen sind schon seit dem 17. Jahrhundert bekannt, nach der Hungersnot von 1816 nannte man sie auch Hungertaler. Hergestellt wurden sie vor allem in Bayern und Österreich (Nürnberg, Augsburg, Wien). Schraubtaler oder Schraubmedaille zum Hungerjahr 1816
Hier eine Abbildung und ein Text aus einem Schraubtaler aus Zinn mit Einlagen aus Papier, ausgestellt im Wasserschloss Glatt, 2010. Foto: Rainer Halama, Creative-Commons-Lizenz.
In Bezug auf das Jahr ohne Sommer 1816
enthält er unter anderem folgenden Text:

Furchtbar rollte der
Donner über den Häuptern
der Menschen; fast jede Wolke
erzeugte vernichtende Blitze:
auch hier nimmt er seinen Lauf
auf eine friedliche Hütte, und
angstvoll fliehen Menschen u.
Vieh ob des gewaltigen Donners.
Das Jahr ohne Sommer 1816

1 Gerhard Seidel in "Unser Fichtelgebirge" Band 4
2 Paul Dostal, Uni Freiburg, Klimarekonstruktion der Regio TriRhena
3 Gerald Müller, Hunger in Bayern 1816 - 1818, Seite 12
4 Wolfgang Rammacher, 1816 - Das Jahr ohne Sommer
5 Gerald Müller, Hunger in Bayern 1816 - 1818, Seite 122
6 Albrecht Ludwig von Seutter, Regensburg: Über die allgemeine Getreide-Theuerung im Jahre 1816
7 Gerald Müller, Hunger in Bayern 1816 - 1818, Seite 42
8 Johann Baptist Anzmann: Über den Wucher und Mittel gegen denselben (schon 1793)
9 August Häusler: Die Teuerung von 1817
10 Wolfgang Behringer: Kulturgeschichte des Klimas: Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung
11 Abb.: Roland Unger, CC-Lizenz

©2016 by Erwin Purucker, Marktleuthen im Fichtelgebirge

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