Geisterkirche auf dem Waldstein
im Fichtelgebirge

Mystik in Oberfranken
Sagen und Legenden

Nach

Ludwig Bechsteins

Deutschem Sagenbuch von 1853 soll man im Markt Zell am westlichen Fuß des Waldsteins des Öfteren aus Richtung Gipfel das Läuten eines Glöckleins gehört haben. Stieg man jedoch hinauf, konnte man nichts derartiges finden. Eine Frau, die ihrem hoch im Wald arbeitenden Mann Mittagessen brachte, hörte den Schall ganz in der Nähe und ging ihm nach. Und wie sie droben um eine Mauerecke der Burg biegt, sah sie die Geisterkirche »offen und in hehrer Pracht«. Das Glöcklein schwang im Turm, Orgelmusik und Chorgesang drang aus der Kirche, am Altar stand ein Priester und die Gemeinde bestand aus Geharnischten und Frauen in weißen Schleiern. Die Frau ergriff ein mächtiger Zwang, hineinzugehen, niederzuknien und »den anzubeten, welchen alle guten Geister loben«. Gleichzeitig grauste ihr, da sie fühlte, dass sie nicht zu dieser Gemeinde gehörte. Der Priester drehte sich um, hob einen Arm und sprach mit eisigem Blick und dumpfer Stimme »Wehe! Wehe!«.

Im Nu verschwanden Altar und Priester, Orgel und Chor, Männer und Frauen, der Kirche Schmuck, und mit einem grollenden Wetter versank das Glöcklein dicht vor der Frau im Boden. Statt dessen standen an der Stelle wieder die verfallenen Mauern und die Jahrhunderte alten Bäume. Mehr tot als lebend schleppte sich die Frau zu ihrem Mann zurück und konnte erst mal garnicht sprechen. Der Mann hatte weder das Glöcklein, noch Sturm und Unwetter gehört, und der Himmel war hell und klar. »Bebend wankte die Frau nach Hause ‐ Nach drei Tagen lag sie auf der Bahre.«
Die Geisterkirche auf dem Waldstein im Fichtelgebirge
Ludwig Bechstein bezeichnet die Sage unter Nummer 702 mit "Das Bimmelglöckchen", ein Titel, der nach meinem Sprachgefühl nicht dem fichtelgebirgischem Sprachgebrauch entspricht. Als Apotheker, Archivar, Bibliothekar und Schriftsteller aus Weimar in Thüringen hat er wohl auch ganz anders gesprochen als das ländliche Volk bei uns. In verschiedenen Versionen ist die Geschichte von der verwunschenen Kapelle in alten Überlieferungen zu finden. In einer hat der Burgherr einst ein Gelübde gebrochen, worauf der Abt des Klosters Himmelkron oder Waldsassen die Kapelle mit einem üblen Fluch belegte, und sie einstürzte. Mit automatischen Wildkameras kann man das mystische Treiben der nächtlichen Geistergottesdienste heute leicht festhalten (s.o.).

Während in der Nähe des Rotes Schlosses und des Teufelstisches die vom Feilenhauer verbannten Geister ihr Unwesen treiben, taucht offenbar als Gegengewicht zu den teuflischen Mächten bei den Mauerresten der Schlosskapelle nahe der ehemaligen Ostburg zu bestimmten Zeiten die Geisterkirche am Waldstein im Fichtelgebirge auf.

Die Ostburg auf dem Waldstein

Die ältere der beiden Burgen auf dem Waldstein ist die Ostburg. An ihrer Stelle findet man heute nur noch Mauerreste einer später gebauten Kapelle. Kerben und Rillen in Felsen interpretierte der Heimatforscher Ludwig Zapf im 19. Jahrhundert als Hinweise auf eine wendische Wallstätte am Waldstein. Von 1960 bis 1974 durchgeführte, systematische archäologische Grabungen unter Leitung von Karl Dietel, dem Kreisheimatpfleger des Landkreises Münchberg, brachten Mauerreste und Grundmauern der Ostburg zu Tage und man fand auch Gräber. Die Ostburg wurde von ca. 1100 bis 1300 betrieben. Den heutigen Schüsselfelsen mit der Aussichtskanzel hat man damals als Bergfried ausgebaut. Nach dem Bau der Westburg, des "Roten Schlosses" wurde sie aufgegeben. Die Theorie von der wendischen Wallstätte haben die Grabungen widerlegt.

Eine modernere Version der Legende von der Geisterkirche auf dem Waldstein

Hoch oben, wo der Wind durch die zerklüfteten Granitfelsen weht und die Nebelschleier der Morgendämmerung einen geheimnisvollen Tanz vollführen, erhebt sich die Ruine der alten Waldsteinkapelle. Man sagt, ihr Gemäuer sei älter als die Erinnerung selbst und trüge den Fluch jener Tage in sich, als weltliche Macht und kirchliche Würde in mystischen spirituellen Zwist gerieten. Wer an einer mondlosen Nacht über den Gipfel wandert, hört vielleicht noch das ferne Echo eines Glockenschlags, doch im kirchlichen Mauerrest hängt keine Glocke mehr und kein Klöppel kann sie anschlagen. Dennoch versammeln sich in seltsamen Nächten Geistergestalten zu einer längst vergangen geglaubten Messe.

Der Bau der Kapelle und der Fluch des Abtes

Im Jahre des Herrn 1357 ließ Graf Albrecht von Waldstein, ein frommer, aber stolzer Edelmann, auf dem höchsten Punkt seines Territoriums eine kleine Kapelle errichten. Er glaubte, dass so sein Name in die Annalen der Heiligen geschrieben würde, und dass sein Geschlecht fortan von göttlichem Schutz umgeben sei. Tagelang holte er Steinmetze aus Böhmen und dem Frankenland herbei, bis der zierliche Chorraum inmitten des rauen Gesteins stand. Ein kleines Kirchenschiff mit wenigen, buntverglasten Fenstern, mit einem Altar, auf dem ein silbernes Kruzifix mit geheimnisvollem Glimmen stand. Unten im Kloster hielten die Mönche den Bau jedoch für Anmaßung. Die Kapelle stünde nicht auf geweihtem Boden, sondern auf heidnischem Heiligtum des Waldes, hieß es. Sie flehten den Abt an, einzugreifen.

Eines Tages, als das Morgengebet gerade verklungen war, nahm Abt Heinrich uralte Gebete aus seinem Pergamentdickicht zur Hand und seinen schweren Stab. Er schritt den steilen Pfad zum Waldstein hinauf, begleitet von vier Kaplänen. Sie drohten dem Grafen mit Bann und Exkommunikation, wenn er nicht schleunigst das Bauwerk schleifen ließe und auf ewig die Heiligkeit des Klosterlandes anerkannte. Graf Albrecht jedoch erwiderte nur, dass er niemandem gehorche, außer seiner eigenen Gottverbundenheit.

Unter Tränen verhängten die Mönche einen Fluch in lateinischer Liturgie: »Quicumque sacram hanc destruerit, cor suum verbricentur in perpetuum. Qui here construere perseveraverit, videbit in noctibus tenebras, in quibus vox Dei per tractus lapidea resonabit – sed neque mensis neque dies auribus hominum apparebit.«

Deutsch: »Wer diesen heiligen Ort zerstört, dem wird das Herz für immer gebrochen. Wer beharrlich daran baut, wird die Dunkelheit der Nacht erleben, in der die Stimme Gottes durch die steinernen Gänge widerhallt. Doch weder Monate noch Tage werden den Ohren der Menschen erscheinen.«

Man erzählt sich, dass in jener Nacht ein gleißender Blitz die neue Kapelle streifte. Die Mauern bebten, als wollten sie den Schatten des Verächters ausspeien. Fortan sollten hier weder Glocken läuten, noch Priester Gottesdienst halten. Nur noch die Geister derer, die einst den Altar geschmückt hatten, müssen sich auf ewig zu geheimen Liturgien versammeln.

Die nächtlichen Geistergottesdienste

Wer den Waldstein in dunkler Stunde besteigt, spürt mitunter ein leises Pochen in der Brust, gleich einem Trommelschlag, der keinen menschlichen Ursprung hat. Man folgt geistesabwesend dem Flimmern irgendeines schwachen Lichts, das zwischen den Ritzen der Felsen tanzt. Und dann steht man vor den Mauern der Kapellenruine. Das Portal ist offen, als habe jemand die Tür nie verriegelt. Ein dumpfes Läuten erklingt, doch niemand sieht eine Glocke im Turm. Die Bänke scheinen leer zu sein, trotzdem formt sich allmählich im schwachen Schein einer geisterhaften Fackel eine Prozession.

Der Geist des Priesters tritt vor, in einem Messgewand, das einst schneeweiß gewesen sein muss, nun aber fahl grau schimmert. Er hebt die Hände, murmelt lateinische Worte: »Introibo ad altare Dei. Ad Deum qui laetificat juventutem meam.« Deutsch: »Ich werde zum Altar Gottes gehen. Zu Gott, der meine Jugend erfreut.«

Hinter ihm folgen Männer und Frauen, gekleidet wie Pilger aus vergangenen Jahrhunderten. Ein Knabe krault sich manches Mal ängstlich die Schläfe, als sei ihm das ganze Ritual ein Rätsel. Zwei alte Mägde, bleich und ausgemergelt, halten brüchige Kerzen, die hinter ihnen flackern, obwohl keine Flamme sie erhitzt.

Aus dem Altarraum tönt ein Männerchor in tiefer, unwirklicher Harmonie. Die Stimmen singen mystische gregorianische Choräle, die man vergeblich in einem Liederbuch sucht. Jeder Ton klingt zugleich tröstlich und furchteinflößend, als drohe er das eigene Herz zu entrücken.

Einmal, so berichten es die Holzfäller von Zell, habe der Priester einen Wanderer eingeladen, sich niederzuknien. Versunken in das Lied, sei jener aus lauter Furcht umgefallen. Als er erwachte, lag er eingeschlafen an der Geisterstiege am Waldstein, weit unterhalb des Gipfels, ohne Erinnerung an den Weg und Zeitgefühl. Seine Dorfbewohner meinten, er habe gewiss Stunden, wenn nicht Tage, dort verweilt, doch er meinte, sich noch im selben Tag zu befinden.

Varianten des Geisterkonzerts

Walpurgisnacht unter den Ruinen

Manch ein Jäger aus Sparneck oder Zell behauptet, in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai, in der Walpurgisnacht, kämen nicht nur die Geister der Kapelle zusammen, sondern auch die verstorbenen Bauern aus dem Tal. Sie tanzen vor den zerfallenen Bänken, stoßen ahnungsvolle Klagen aus und rufen sich Namen zu, die längst vergessen schienen. Ein alter Schäfer erzählte, er habe einmal zu genau hingesehen und habe statt des Priesters nur einen langen schwarzen Schatten wahrgenommen, der aus dem Felsen herausgeschlüpft kam. Dann seien hexenartige Wesen, halb Mensch, halb Tier aufgetaucht, hätten das Kirchenschiff umrundet und höhnisch gelacht, ehe sich alles in dichten Rauch hüllte und verschwand.

Der Totengeister-Chor

Nach anderer Überlieferung sind es gerade die Totengeister der einst hier Beerdigten, die die Messe halten. Unterhalb der Kapelle lag einst ein Friedhof. Die Toten wurden hastig beigesetzt, ohne Segnung, deshalb dürfen ihre Seelen keine Ruhe finden.
So hört man an regnerischen Herbstnächten das Klagen der Frauenstimmen, begleitet von Männerchören, und am Himmel erglimmt ein ohrenbetäubender Donnerschlag, als ob die Welt untergehen wollte. Mancher erzählt, hinter den Fenstern des Altarraums habe er schemenhaft Skelette gesehen, die, in zerfetzte alte Gewänder gehüllt, über den Steinboden krochen.

Die schweigende Nonne

Aber nicht immer singt ein Chor. Ab und zu berichten Wanderer von einer vollkommenen Stille mitten in der Nacht, die so schwer auf der Seele lastet, dass man meint, ein unsichtbarer Priester erhebe trotz alledem unhörbare Gebetsworte. Wer in jene Stille blickt und lauscht, sieht mitunter einen einzelnen Kerzenschein im Altargewölbe, gehalten von einer schweigenden Nonne, die beständig wankt, als versuche sie, den Schleier der Zeit zu durchbrechen. Dann verblasst alles langsam, und die Schatten der Ruine kehren zurück, offenbar unberührt von gespenstischer Gegenwart.

Eine nächtliche Begegnung

In einer Spätherbstnacht des Jahres 1899, wurdes ein junger Lehrer namens Jonas aus Weißenstadt neugierig. Er hatte alte Klosterchroniken studiert und wusste um den Fluch des Abtes Heinrich. Dennoch wollte er Zeuge werden jener Gesänge, von denen man sprach. Bewaffnet mit einer Laterne, in der Blechdose brannte noch etwas Teeröl, stieg er gegen Mitternacht den steilen Pfad empor. Sein Herz klopfte heftig, doch er sagte sich, dass er nur wissenschaftlich lernen wollte, den Geisterglauben widerlegen.

Als er die Ruine betrat, lag der Felsengrat in dichtem Nebel. Die Mauern wirkten glitschig vom tauenden Frost. Er hob die Laterne, um den Altarraum zu erhellen. Da, kaum hörbar, begann das Läuten. Zuerst im Takt seiner eigenen Angst, ein langsames Pochen, dann schneller, bis es sich zu einem dumpfen Geläut wiederholte. Jonas taumelte, die Luft um ihn herum vibrierte, und eine eisige Hand schien ihm das Herz zusammenzupressen.

Langsam formten sich die Schatten der Bänke zu Konturen, ein Prälat in roter Mitra schwebte hinein, doch sein Gesicht war wie von abgebrochenem Stein. Keine Züge, nur tiefe Leere, in den Augenhöhlen tanzte ein fahler Schimmer.

Dahinter trugen zwei Frauen ein altes staubiges Sargbrett, auf dem ein Skelett ruhte, ein Toter, der nie gesegnet oder getauft wurde. Aus den Mauerritzen krochen dünne Finger, so lang wie Efeuranken, die sich tastend an den Gewändern der Geister festhielten, als wollten sie sie von der Wand lösen.

Da erhob sich eine Frau im weißen Gewand, Jonas war sicher, es war die Kapellengründerin, jene Gräfin, die hier vor Jahrhunderten gestorben sein musste. Ihre Augen waren zwei blutrote Glutpunkte, und obwohl sie nicht sprach, wusste Jonas, dass sie etwas zu ihm sagte: »Trete näher, Lehrer! Verneige dich, eh du richtest über uns!«

Er sank zitternd auf die Knie. Ein Schluchzen, so alt wie die Zeit, erfüllte den Raum. Das Licht der Laterne flackerte, und die Geister versanken im Nichts. Nur das letzte Läuten verhallte in den Felsen.

Am nächsten Morgen fanden Holzhauer die Kapellen-Ruine im wiedergekehrtem Tageslicht. Kein Zeichen mehr von der nächtlichen Versammlung. Jonas aber kehrte nie mehr zurück zur Kapelle. Man sagte, er habe in jenen Stunden sein Herz verloren. Er sprach von Visionen, die ihn in manch einer dunklen Stunde heimsuchen. Seine Schüler am Dorflehrhaus behaupteten, er habe manchmal in altem Latein gemurmelt und im Morgengrauen aus dem Fenster gestarrt, als lausche er unsichtbaren Stimmen.

Wenn der Nebel nun heraufzieht und die Felsen silbrig glänzen, hört mancher Ortsfremde ein fernes, nicht lokalisierbares, Glockenläuten. Die Alten im Tal nicken verschmitzt und erzählen sich Geschichten vom gelehrten Lehrer, der dem Fluch zu nahekam. Sie wissen, in einer Welt, in der Verbotenes nicht nur in Büchern steht, kann auch die Luft zwischen den Bäumen zu einem geweihten Raum werden. Und die Erinnerung an die Geisterkirche auf dem Waldstein lebt weiter, so lange, wie der Wind durch die Ruinen zieht.

Zwischen Legende und Wirklichkeit

Bis heute gleitet ein Wispern über die Felsen am Waldstein. Die Ruinen liegen halb verborgen von Moos und Farnkraut als Mahnmal einer Zeit da, in der ein tosender Streit zwischen Erde und Himmel eine Kapelle verfluchte. Doch im dumpfen Klang dieser Legende liegt auch ein Funke Hoffnung: Vielleicht sind jene Seelen, die vor Jahrhunderten im Kirchhof begraben und nie gesegnet wurden, nicht nur dazu verdammt, ewig zu irren, sondern warten auf Erlösung, auf ein Gebet, das jenseits von Fluch und Hass verrichtet wird.

Wenn du also einmal am Dämmerhimmel den Grat des Waldstein erklimmst und ein Geläut vernehmen solltest, dann bleib still stehen und lausche. Vielleicht erkennst du dann, dass Legenden nicht bloß Worte sind. Sie sind ein Echo vergangener Herzen, die in der Finsternis weiterleben und darauf warten, endlich Frieden zu finden.

 Der Waldstein im Fichtelgebirge
 Der Teufelstisch auf dem Waldstein im Fichtelgebirge
 Feen, Elfen und Elben

   
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