Sagen und Legenden
Mystik in Oberfranken

Das Schweigen
der Unwetter

Krieg der Waldfeen, Elfen und
Naturgeister gegen Schattenweber,
Gewitter-Dämonen und teuflische Mächte

Die Nacht fiel wie ein schwerer Vorhang über das Fichtelgebirge. Ein Meer aus Wolken und Blitzen kroch tief heran, so dass selbst die Berge ihre Gipfel und die Bäume ihre Wipfel versteckten. Die Luft roch nach nassem Harz und altem Stein. Zwischen den Bäumen, dicht an der alten Kirche von Leuken, das wir heute Marktleuthen nennen, sammelte sich das Wasser und klopfte gierig an die steinernen Stufen.

Blitze zuckten über den Himmel wie ungezähmte Schwerter, doch ihre Kraft war grausam und fremd wie das Zorngewitter der Berge, das die Hölle selbst ausatmete. Dies war ein Sturm, dem jemand Stimme und Macht verliehen hatte. Eine Kaskade von Zorn, gerufen von den Schattenwebern, Dämonen, teuflischen Mächten, die in den alten Ritzen der Berge hausten und sich von Furcht und Aas nährten.
Gewitter über Marktleuthen im Fichtelgebirge
Marktleuthen im Gewitter
Als die Glocken der Kirche beim ersten Donnerschlag verstummten und die Dorfbewohner ihre Türen verrammelten, erhoben sich aber tief im Wurzelreich des Waldes noch andere Mächte. Kleine Lichter schälten sich aus dem Moos, Feenflügel flimmerten unter Farnen, und die Waldfeen, Elfen und Naturgeister, die in Granitspalten der Berge wohnten, machten sich bereit. Man nannte sie Tannenkinder, Moorweiber und Moosweiblein, die Hüterinnen der Quellen und des Waldes, Wesen, welche die Sprache der Wurzeln und das Murren der Flüsse kannten. Sie spürten, dass das Unwetter nicht nur Wind und Regen war, sondern ein Werk der Bosheit, das die Adern der Erde verletzen wollte.

Angeführt wurde das Bündnis der Guten von der jungen Feenkönigin Lysara, deren Augen das helle Grün des Fichtelgebirges trugen, und vom alten Elfenwächter Hjalmar, dessen Stimme wie Kieselsteine rollte. Sie trafen sich in einer Senke, wo die Rinde der Birken silbern im Wasser flimmerte. Lysara legte eine Hand auf den Boden, Hjalmar kratzte Runen in den Granit mit einer Schuppe von Mondwasser. Ihre Gefährten, Glimmlichter, Wurzelgeister und die scheuen Hüterinnen der Quellen, knüpften daraus ein Netz aus Licht und Schwur, kein Zauber der Herrschaft, sondern Magie der Fürsorge.

»Nicht allein mit Macht«, flüsterte Lysara, »sondern mit Erinnerung. Die Erde soll sich erinnern, dass sie Beschützer hat.«

Hjalmar nickte. »Und Wesen, die bewahren, nicht zerstören.«
Die Waldfeen hoben ihren Gesang an, keine lauten Töne, sondern ein Geflecht aus Klängen, das die Vogelbeerbäume und Fichten wie Saiten zum Schwingen brachte. Aus dem Moor stiegen Nebelflocken, die sich zu Schilden formten. Aus den Granitrippen sprossen silberne Finger, die das Wasser banden. Die Elfen sandten Flötenklänge, hohe Töne, die den Wind zähmten und die Richtung der Blitze veränderten. Als die ersten gezackten Strahlen fielen, griffen sie in das Licht wie ein Spinnennetz und banden die Funken an sich. Nicht um sie zu fangen, sondern um sie umzulenken und zu läutern.

In der Zwischenzeit hatte ein schwarzer Rabe, ein alter Bote der Urmutter Gaia, die Glocke der Kirche erreicht. Er landete schwer auf dem Turm, krächzte dreimal, nicht wild, sondern wie ein Zeichen der Hoffnung, und einige ausgewählte Dorfleute, die sich in der Kirche versammelt hatten, stärkten ihre Stimmen zum Gebet. Christliches Gebet, Feengesang und Rufe nach den alten Göttern fügten sich zusammen und bildeten eine Schutzmauer und starke Netze um das Dorf. Die gemischte Schwingung wurde zu einem Anker, der die Erde selbst halten konnte.

Die Schattenweber entbrannten in Zorn. Aus dem Dunkeln krochen Gestalten, deren Namen keine menschliche Zunge sprechen sollte. Flammen mit menschlichen Griffeln, lauernde Wirbel aus kaltem Regen. Sie stürzten sich gegen die Netze der Waldfeen. Doch wo sie auf die Lieder und Gebete trafen, die mit den Netzen verwoben waren, verlor ihre Schärfe die Richtung und zersplitterte in Tropfen, die wie Tränen-Perlen in die Abflussgräben rannen. Ein Blitz, der auf den Turm fallen wollte, wurde in eine Kaskade aus hellem Glas verwandelt und zerbarst in tausend Funken, die wie winzige Laternen in den Baumwipfeln hängenblieben.
Ein Moosweiblein kämpft gegen Dämonen
Ein Moosweiblein kämpft gegen Dämonen
Als das erste Grau des Morgens sich hintastete, begann das Wasser zu weichen. Nicht abrupt, die Berge sind langsam, selbst in Versöhnung. Aber es zog sich zurück, nahm mit sich die Last der Nacht und ließ nur die Spuren der kämpfenden Elemente zurück: Geschliffene Kieselsteine, geschützte Samen, und an den Fenstersimsen der Kirche kleine Kränze aus Moos, gelegt von Feenfingern als stille Warnung und Segen zugleich.

Die Schattenweber waren nicht vernichtet. Sie zog es fort, hinunter in tiefere Schlünde, dort, wo die Menschen sich selten hinwagten. Doch ihre Macht war gebrochen. Die Waldfeen und Elfen hatten gezeigt, dass die Erde Hüter hatte, Wesen, die weder mit Menschen noch mit Dämonen paktieren, sondern über das Gleichgewicht wachen. Die Dorfbewohner öffneten ihre Türen. Sie fanden ihre Felder mit einer seltsamen Ruhe bedeckt und weiße Kiesel, die wie kleine Herzen funkelten. Die Glocke der Kirche schlug, und ihr Ton trug weit, über Wälder, über Moore, bis zu den versteckten Höhlen, in denen noch heute die verbannten Schattenweber lauern.

Von jener Nacht an erzählt man sich im Fichtelgebirge, dass man bei Sturm nicht nur die Fenster schließt, sondern auch ein kleines Körbchen mit birkenweißem Brot und einem Ring aus Heckenrosen bereithält, eine Geste, leise wie ein »Danke«, für jene, die in den Ritzen der Welt über Feld, Wald und Dorf wachen. Und wenn der Himmel wieder einmal zuckt und die Blitze den Himmel spalten, dann lauschen die Alten. Vielleicht hört man fern einen Flötenton oder ein Feenglöckchen, vielleicht einen Raben, der einmal, sacht, die Luft zerteilt, das leise Zeichen, dass die Waldfeen und die Elfen noch wachsam sind.
 Das Schweigen der Unwetter
   
©2025 by Erwin Purucker
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