Zwischen Marktredwitz, Sichersreuth und Kleinwendern findet man den Marktredwitzer
Stadtwald Putzenreuth. In
Deutsches Sagenbuch von Ludwig Bechstein aus dem Jahr 1853 findet man unter Nummer 693 eine Geschichte vom
Bergwald Butzenreut zwischen Wunsiedel und Redwig (Redwitz), in dem Waldschrate und Höllenbutzen jagen. Im ganzen Fichtelgebirge sollen sie gar wild und toll jagen, von ihrem Butzenheer begleitet. Besonders im Butzenreut soll er als Nachtjäger sein Unwesen treiben,
mit Spuk und argem Pötz auf einem dreibeinigen Ross von Höllenhunden umklafft.
Der Nachtjäger von Butzenreuth
(neu nacherzählt)
Man sagt, die Nacht habe im Fichtelgebirge ein anderes Gesicht, ein altes, raues Gesicht, das tiefer geht als der Granit, wo sich glühendes, geschmolzenes Gestein entlangwälzt. Und weil sich die Berge selbst an die alten Geschichten erinnern, hört man sie noch, wenn der Wind an den Fichtenkronen rüttelt. Von einem, den man den
Nachtjäger von Butzenreut (Putzenreuth) nennt, von seinem dreibeinigen Ross, von Höllenhunden, die wie Gewitter bellen, und von den Waldschraten, die den Weg in den Mooren kennen und auch bei Nacht finden.
Vor Urzeiten begann es, nicht mit einem Donner, sondern mit einer Stimme, einem Flüstern über dem Putzenreuther Wald, nahe einer Einöde, die man damals
Butzenreut nannte, zwischen Wunsiedel und Redwitz. Ein Bauer, der spät heimkehrte, sah eine schwarze Gestalt am Rand des Feldes stehen, höher wie die Zäune. Erst dachte er, es sei nur ein Schatten oder Strauch. Doch die Gestalt hob den Kopf, zwei Augen wie geschmolzene Kohlestücke, und bei ihm Hunde, die begannen zu heulen. Am nächsten Morgen war das gepflegte Feld mit sprießendem Getreide umgepflügt, als hätte ein Sturm und die Wildschweine darin gerast.
Die Alten erinnerten sich an Namen, die nicht mehr laut ausgesprochen werden sollten. Von einem Jäger, der in alter Zeit die Regeln brach, jagte in heiligen Nächten, schoss dort, wo eine heilige Quelle ruhte, nahm mehr als er brauchte. Und als sie ihn fassten und erhängten fand seine Seele keine Ruhe. So ward er gebunden zwischen Bergen, Fels und Moor, doch solche Bindungen sind im Fichtelgebirge nicht ewig. Sie halten nicht immer, wenn Gier oder Ungeduld an ihnen rüttelt. Irgendwann brach jemand etwas, ein Versprechen, einen Schwur. Ein Versagen, und er war los.
Der Nachtjäger trat das erste Mal in der Dämmerung hervor, als die letzten Sonnenstrahlen zwischen Kösseine und Ochsenkopf verschwanden, und das Licht in kalten Streifen blutrot über den Himmel strich. Er ritt nicht wie die Reiter der Welt, sein Ross hatte nur drei Beine. Die Hufe klangen wie Hammerhiebe auf dem Granit, und um seinen Hals hing eine Kette aus rostigem Eisen, an der kleine, zerschundene Glocken schwangen, deren Ton die Hunde scheuchte. Bei ihm zog das Butzenheer, Gestalten ohne Namen, Nebel in Menschengestalt, knirschend wie verrostetes Eisen, knisternd wie dürres Reisig.
Sein Weg führte ihn zum Fichtelsee. Dort, wo das Wasser schwarz und still lag, stieg er vom Ross und tauchte in die Tiefe. Die Legende sagt, das Wasser nahm seine Schuld nicht fort, es nährte nur seine Rachsucht. Jedes Mal, wenn er in den folgenden Tagen aus dem See stieg, trug er in den Falten seiner Kleidung Torf aus tausenden abgestorbener Pflanzen, die grün schimmerten, wenn er aus ihnen die Reste ihrer Lebenskraft saugte. Von seinem Mantel tropfte ein kalter Nebel, der alles Lebendige in seiner Nähe erschauern ließ. Auf seiner Haut schimmerten blass Runen, die niemand mehr verstand. Fische flohen, der Wald verstummte, und am Ufer fand man am Morgen kreisrunde Muster aus Schlamm, und große Pfotenspuren, die nicht von einem Tier oder Menschen stammen konnten.
Auch im Zeitelmoos bei Wunsiedel birgt der Boden ein altes Gedächtnis. Torfschichten, die noch den Atem vergangener Jahrhunderte enthalten. Dort jagte der Nachtjäger in langen, stummen Stunden. Wer ihm begegnete, hörte zuerst die Höllenhunde. Nicht wie gewöhnliche Köter, sondern mit einem Bellen, das hohl klang, durch und durch ging und bis zu den Knochen drang. Dann kamen die Waldschrate, knorrige Gestalten, halb von Moos überzogen, die mit rauer Stimme warnten oder spotteten. Sie stießen keine helfenden Schreie aus, vielmehr knirschten ihre Zähne, und ihre Augen waren wie kleine Tümpel, dunkel und undurchsichtig. Wer zu diesen Zeiten ins Moor trat, dem zog es an den Beinen wie unsichtbare Finger, und so mancher, der nachts nach Hause wollte, blieb stehen, stumm vor Furcht, weil hinter ihm etwas atmete. Ein Fehler, sie wurden nie mehr gesehen.
Oben auf dem Ochsenkopf, wo der abenteuerlichste Teil eines uralten Stollensystems endet, dort wo Wind und Stein sich um die Herrschaft streiten, jagte er am Rand der Felsabbrüche. Sein Ross sprang über Schluchten von Kuppe zu Kuppe, und wenn ein Blitz über den Kamm zuckte, konnte man für einen Augenblick das bleiche Gesicht des Jägers sehen, hohlwangig, stolz, zornig. Unter seinen Hufen brach das Heidekraut, und von den Granitplatten stieg Dunst wie verbrannte Asche. Die Wanderer, die verspätet noch dort gingen, kehrten, wenn sie Glück hatten, mit bleichem Gesicht und leerem Blick heim. Sie rieten den Leuten und ihren Kindern, nicht nach Sonnenuntergang dort oben unterwegs zu sein.
Die Gestalten, die ihn begleiteten, waren angsteinflößende Erscheinungen. Höllenhunde stürzten sich auf Rotwild und Wildsauen, und hinterließen tiefe Spuren in den weichen Böden, ihre Augen glühten wie Kohlen, und ihr Atem roch nach verwesendem Fleisch. Die Waldschrate hingegen waren die Hüter der Schattenpfade. Sie kannten auch im Dunkeln jeden Stock, jeden Tritt, jeden Grund, wo der Boden nachgeben konnte. Sie sprachen in Zischlauten, wenn sie allein waren, und manchmal, wenn ein Wanderer übermütig war, täuschten sie Wege vor, die keine waren, ließen Pfade plötzlich enden und führten die Neugierigen in dichte Wildnis. Die Hunde im Dorf und das Vieh in den Ställen wurden unruhig und die Menschen verriegelten ihre Türen.
Die Angst griff um sich wie Nebelschwaden bei Sonnenuntergang. Die Händler schlossen ihre Geschäfte früher, die Wirtshäuser räumten die Tische bei letzter Abenddämmerung, und man begann, an den langen Abenden Kerzen in den Häusern zu entzünden, kleine Lichter, die wie Finger in die Nacht zeigten: »Geht nicht hinaus!« Die alten Jäger ließen ihre Gewehre stehen und murmelten Gebete, nicht aus Gläubigkeit allein, sondern aus Respekt und Angst vor dem, was ihre Augen schon gesehen hatten. Ein alter Küster erzählte, er habe den Klang der rostigen Ketten gehört, die der Nachtjäger schleifte, und am nächsten Morgen waren überall Hufabdrücke im nassen Weg, die ziellos in den Wald und wieder heraus führten.
Manche versuchten es mit Glauben. Glocken läuteten vom Kirchturm Sturm, um die bösen Mächte zu verscheuchen. Man hängte mehrere Spiegel an die Haustore, damit der Jäger sich im Dämmerlicht verirre, man sprach Segensworte und streute Salz in der Form von Drudenfüßen (Pentagrammen) auf die Schwellen. Oft half das, oder vielleicht war es nur Einbildung in der Einsamkeit des Winters? Doch wenn die Nächte lang waren und der Mond groß und rund, dann hörte man das Heulen, dann brachen die Höllenhunde hervor, und die, die trotzig aus der Tür schritten, kehrten manchmal nie zurück.
Wenn der Nachtjäger unterwegs ist, verstecken sich sogar die guten Geister in Felsspalten und Dornensträuchern. Und auf's Beten will man sich auch nicht verlassen. So wuchs der bedrohliche Aberglaube, so wuchs die Angst. Eltern hielten die Kinder drinnen, und wer des Nachts durch die Straße schritt, konnte den rauchigen Atem des Jägers in den Gassen spüren, als hätte der Berg ihm selbst den Weg geleitet. Die Sage war eine Warnung und wurde zur Ordnung: Der Wald gehört nachts den Toten und den Wesen, die in der Tiefe wohnen. Wer ihre Gesetze nicht achtet, dem zeigt die Nacht ihr anderes Gesicht.
Und noch heute, wenn der kalte, feuchte Wind vom Fichtelsee herüberweht und die Nebelschwaden über das Zeitelmoos ziehen, wenn der Kösseinegipfel und der Ochsenkopf mit dunklen Wolken verhüllt sind, dann schließen die Menschen in Marktredwitz, Sichersreuth und Kleinwendern ihre Fenster mit einem schnellen Griff. Sie hören hin, ob nicht irgendwo ein Kettenklirren, ein Höllenbellen oder das ferne Schnaufen eines dreibeinigen Rosses sich mit dem Waldsäuseln mischt. Dann wissen sie, in der Nacht gibt es keinen sicheren Weg. Kehrt besser heim, und bleibt dort!