»Geht heim, ihr Kleinen, wärmt euch am Feuer,
am Abend ist's im Zeitelmoose nicht geheuer!«
So dichtete August Kopisch (1799 bis 1853) in seiner Ballade
Zeitelmoos. Hier eine neu erzählte Sage darüber:
Der späte Reiter im Zeitelmoos
Die Kinder vom Zeitelmoos
In alten Zeiten, als die Nächte noch schwärzer und die Wälder tiefer waren, lag zwischen Wunsiedel, Röslau und Weißenstadt das große, dunkle Zeitelmoos, ein Moor, das zu flüstern schien, wenn nachts der Wind über seine Wasser strich. Niemand ging dort freiwillig nach Einbruch der Dämmerung hindurch, denn es hieß, dass Geister, Irrlichter und zwielichtige Gestalten dort ihren Unfug trieben. Die Alten erzählten, dass schon ihre Vorfahren von einem Fluch erzählten, der über dem gesamten Moor hing, und niemand wusste mehr woher er kam. Zwei Kinder sollen einst hineingegangen sein, und niemals kehrten sie zurück.
Doch in jener Nacht, von der man noch heute spricht, war der Himmel klar, und der Mond hing groß und schwer über den Fichten. Ein Reiter kam den Weg entlang, ein ehrbarer Mann aus Wunsiedel, der spät von einer Hochzeit zurückkehrte. Sein Pferd, eine starke rot-braune Stute, schnaufte in der kühlen Luft, und der Atem des Mannes bildete kleine Wolken vor seinem Bart.
Als er in eine Senke des Moores kam, wurde die Luft feuchter und dichter, als ließe sie sich nur zäh einatmen. Über den Wasserlöchern lag Nebel wie Silber, und es gluckste leise im Untergrund. Plötzlich hörte er Gelächter, hell, jung und fröhlich, und zwei kleine Gestalten sprangen aus dem Dunst hervor, ein Bub und ein Mädel, barfuß, mit nassen Kleidern, die im Mondlicht glänzten.
»He, Reiter!«, rief der Bub, »Reitest du durchs Moor, wo keiner mehr heimkommt?«
»Geht heim, Bursche,« brummte der Mann, »Kinder sollen um diese Zeit zu Hause schlafen.«
Doch die beiden kicherten nur, liefen um sein Pferd herum und fielen plötzlich rückwärts in einen schwarzen, sumpfigen Tümpel. Ein Schrei, ein Platschen – und Stille. Der Reiter, erschrocken, sprang vom Sattel und rief: »Beim heiligen Laurentius! Kinder! Seid ihr närrisch geworden?«
Er warf Mantel und Hut beiseite und stieg ins Wasser um sie zu retten, als aus der Tiefe lautes Gelächter aufstieg. Die beiden tauchten wieder auf, schüttelten das Wasser aus den Haaren und riefen: »Haha! Er glaubt’s wirklich! Der hohe Herr will uns retten!«
Da merkte der Reiter, dass er genarrt worden war. Ärgerlich stapfte er ans Ufer zurück, doch sein Pferd war verschwunden. Nur der Sattel lag im Gras, sorgfältig abgeschnallt. Im Dunst hörte er wieder das Lachen der Kinder, ferner, aber deutlich: »Komm, Reiterlein, dein Ross ist krank! Es steht auf der faulen Weide und frisst Träume!«
Die Kinder vom Zeitelmoos beraten, wie sie den nächtlichen Reiter zum Narren halten können
Er rannte durch's Moor, stolperte über Wurzeln, rief, fluchte, und da sah er im fahlen Mondschein, wie zwei kleine Schatten auf einer sumpfigen Lichtung sein Pferd am Zügel führten. Sie hatten den Sattel auf einen alten umgefallenen morschen Weidenstamm geschnallt, der halb im Sumpf hing, und der Baum ächzte und wand sich unter der Last, als ob er lebendig wäre.
Der Reiter musste trotz seiner Wut lachen. »Ihr Schlingel!«, rief er, »Wenn ich euch erwische, dann …«
Doch wieder waren sie verschwunden, nur ihre Stimmen wehten über das Moor: »Komm mit, Reiter! Wir zeigen dir, wo’s warm ist!«
Da sah er in der Ferne ein Licht flackern, ein kleines Feuer, um das Hirten saßen, die ihre Schafe bewachten. Der Reiter, halb durchnässt und halb erleichtert, stapfte dorthin. Die Hirten sahen ihn kommen, lachten und gaben ihm heißen Most. »Du bist wohl den Irrlichtern gefolgt,« sagten sie, »oder schlimmer noch – den Kindern vom Zeitelmoos.«
»Kinder?«, fragte er. »Ihr kennt sie?«.
»O ja,« sagte der älteste Hirt und spuckte in die Glut, »seit Menschengedenken treiben sie hier ihren Schabernack. Man sagt, sie seien die Seelen zweier Geschwister, die vor hunderten von Jahren im Moor ertranken. Sie kommen immer wieder, sobald der Mond hell steht, und spielen mit den Lebenden, bis der Hahn kräht.«
Der Reiter schlug das Kreuz, blieb aber bis zum Morgengrauen am Feuer. Und siehe da, als der Nebel wich und die Sonne wie flüssiges Gold über die Fichten rann, hörte er vom Moor her ein Wiehern. Sein Pferd stand da, wohlbehalten, als wäre nichts geschehen, den Sattel wieder fest auf dem Rücken, und in der Mähne hing ein Kranz aus Moos und Wasserlinsen.
Er stieg auf, ritt langsam davon, doch kurz bevor der Weg in den Wald führte, drehte er sich noch einmal um. Zwei kleine Gestalten standen am Rand des Moores und winkten ihm nach. Ihre Gesichter glänzten wie Tau, und in der Morgensonne lösten sie sich auf wie Nebel.
Von da an, so heißt es, wollte keiner mehr nachts allein durchs Zeitelmoos reiten. Und wer doch musste, sang lustige Lieder, um die Kinder zu besänftigen. Denn man sagt, wer lacht, während sie lachen, der kommt heil davon. Aber wer sie ärgert oder ihre Spiele zu ernst nimmt, der hört bis ans Ende seiner Tage das Echo ihres Gelächters über den stillen Wassern.
Der Reiter im Zeitelmoos bei Sonnenaufgang
Die alte Original-Sage aus dem Buch
Deutsche Sagen von Carl Friedrich Lauckhard (1845), Nr. 34
Das Zeitelmoos
Auf dem Fichtelgebirg, zwischen Wunsidel und Weißenstadt liegt ein großer Wald, das Zeitelmoos genannt, darin ist ein Teich, an dem viele Zwerge und Berggeister hausen.
Ein rechtschaffener Mann ritt einst am späten Abend durch das Zeitelmoos und sah Kinder an einem Feuer stehen. Denen rief er zu: »Geht heim, ihr Kleinen, hier ist's am Abend nicht geheuer!« Sie lachten ihn aus. Als er etwas weiter gekommen war, stürzte vor seinen Augen eins der Kinder in's Wasser. Er stieg ab, sprang nach, aber er wurde wieder ausgelacht, es war ein Nix (Nöck) gewesen, der ihn genarrt hatte. Als er mit nassen Beinen zu seinem Rosse zurückgetappt war, saßen die Kleinen darauf. Er hieb mit der Peitsche nach ihnen. Aber jetzt sprangen sie ihm wie Heuschrecken auf den Rücken, zwickten und neckten ihn, lachten und riefen: »Am Abend ist's im Zeitelmoos nicht geheuer.«
Der Angstschweiß brach ihm aus. Zum Glück sah er ein Feuer, um welches Hirten herumsaßen. Er ging hin, um seine Kleider zu trocknen, aber diese fingen auch an zu lachen. Er schlug um sich, da fletschten sie die Zähne nach ihm. Nun wollte er sein Pferd wieder besteigen. Die Hirten halfen ihm, aber da drehte sich der Sattel um und wie er auf der einen Seite aufgestiegen war, fiel er auf der anderen wieder herunter. Er schimpfte und fluchte, und merkte, dass er im Sumpf lag und neben ihm eine alte Weide, an welcher das faule Holz wie Feuer leuchtete. Er stand auf, schnallte seinen Sattel wieder fest, setzte sich hinein und peitschte und spornte drauflos, aber er hatte den alten Weidenstamm aufgezäumt, und saß darauf wie ein Knabe auf einem Schaukelgaul.
Nun dachte er, es wäre das Beste, hier ruhig sitzen zu bleiben, bis es Tag würde, und das war auch das Gescheiteste, was er tun konnte. Die Frösche quakten, die Mücken schwirrten und stachen, aber er ließ sich nichts anmerken. Als der Hahn krähte, entflohen die neckischen Geister. Er nahm den Sattel vom Baumstamm, schnallte ihn wieder auf sein Pferd und jagte über Stock und Stein davon. Aber es däuchte ihm, als hörte er noch aus der Ferne die Kleinen lachen.
In einer handschriftlichen Anmerkung in einem der alten Bücher steht: „Wer versucht die ertrinkenden Kinder zu retten, den necken sie, aber lassen ihn am Leben. Wer aber ohne zu helfen einfach weiterzieht, der kommt im nächsten Sumpfloch um!“
Ballade Zeitelmoos von August Kopisch (1799 bis 1853)